Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
der man sie tatsächlich kennengelernt hat, vor allem unter Liebespaaren ist das so, ›So war ich früher‹, scheinen sie einander sagen zu wollen, ›hättest du mich damals auch geliebt? Und wenn dem so ist, warum warst du dann nicht da?‹ Bevor ich ihm erlaubte, sich umzudrehen, und ihm befahl, sich hinzusetzen, erlebte ich einen Moment der Verwirrung: ›Was mache ich hier mit einer Pistole in der Hand‹, dachte ich oder sagte ich mir, und gab mir sogleich die Antwort: ›Nein, ich brauche mich überhaupt nicht zu wundern. Das hat schon seinen Grund, und es kann sein, daß es sogar bitter nötig ist: Ich werde Luisa vor der Beunruhigung und Bedrohung und vor ihrem schlimmen zukünftigen Leben retten, ich werde dafür sorgen, daß sie ruhig atmen und nachts ohne Angst schlafen kann, ich werde verhindern, daß meine Kinder leiden und daß ihr Schmerz und Wunden zugefügt werden oder noch größerer Schmerz oder gar der Tod‹; und gerade als ich mir das antwortete, kam mir ein anderes Zitat in den Sinn, das des Geistes einer Frau, der Königin Anne, die so sehr zu leiden hatte zwischen den Laken ihres zweiten Ehemannes, weil ›Gram dein Bett umlagert‹, an der Seite des blutrünstigen Königs Richard, der in Tewkesbury ihren ersten Mann erstochen hatte, ›in my angry mood‹, wie der Mörder zu sich gesagt hatte, das heißt ›in meinem Grimm‹; und so wünschte sie ihm das Schlechteste nach ihrem Tod, im Morgengrauen auf dem Feld bei Bosworth, als es bereits zu spät war, um dem Kampf aus dem Weg zu gehen, und flüsterte ihm im Traum zu: ›Diese unselige Anna, deine Frau, Richard, die keine ruhige Stunde schlief bei dir, erfüllt mit Wirrnis jetzt deinen Schlaf. Morgen in der Schlacht denk an mich, und es falle dein Schwert ohne Schneide: Verzag und stirb.‹ Ich konnte nicht zulassen, daß Luisa so etwas zustieß, daß sie nie eine ruhige Stunde an Custardoys Seite schlafen konnte, falls er eines Tages mein Kissen besetzte und die Leere in meinem lauen oder schon kalten Bett, ich war der erste Ehemann, doch keiner würde mich in seinem Grimm erstechen oder mein Grab noch tiefer graben, in dem ich bereits beerdigt war, die Erinnerung an mich ausgelöscht mit dem ersten Schrecken und dem ersten Flehen und der ersten Faszination und dem ersten Befehl, alles, was ich war, in einen vergifteten Schatten verwandelt, der nach und nach Lebwohl sagt, während er in London dahinsiecht und sich wandelt, vertrieben aus ihrer Zeit und der der Kinder (dumm ich, ich substanzlos, dumm ich und oberflächlich und leichtgläubig). ›Nein, sie ist noch keine Witwe und ich kein Toter, der Trauer verdient hätte‹, dachte ich, ›und da ich das nicht bin, kann man mich nicht so rasch ersetzen, so, wie Blutflecken sich nicht beim ersten Versuch lösen, man muß sie abreiben und mit Eifer und Sorgfalt wegwischen, und selbst dann scheint es, daß der Rand niemals verschwinden wird, das, was sich am schwersten auslöschen läßt oder den größten Widerstand leistet – ein Flüstern, ein Fieber, ein Stich. Zweifellos hat sie weder den Wunsch noch die Absicht, es zu tun, aber sie wird sich gezwungen sehen, zu ihrem gegenwärtigen oder künftigen Liebhaber oder zu sich zu sagen: »Noch nicht, mein Liebling, warte, warte, es ist noch nicht deine Stunde, verdirb sie mir nicht, laß mir Zeit und laß sie ihm, diesem Toten, seine Zeit, die nicht mehr voranschreitet, gib sie ihm, damit er verblassen kann, laß ihn zum Gespenst werden, bevor du seinen Platz einnimmst und sein Fleisch vertreibst, laß ihn zu nichts werden, und warte, daß kein Geruch mehr an den Laken noch an meinem Körper haftet, den Gram unablässig umlagert, laß das, was war, ungeschehen sein.« Aber ich bin noch, also ist sicher, daß ich gewesen bin, und von mir kann noch niemand sagen: »Nein, das ist nicht gewesen, das gab es nie, das hat nie die Welt durchschritten noch einen Fuß auf die Erde gesetzt, es hat nicht existiert und ist nie geschehen.« Außerdem bin ich derjenige, der in dieser Sekunde den zweiten Ehemann umbringen kann, auf der Stelle, mit den Handschuhen, die ich trage, und mit meinem Grimm. Ich habe eine Pistole in der Hand, und sie ist geladen, ich bräuchte nur den Hahn zu spannen und den Abzug zu betätigen, und dieser Mann steht noch immer mit dem Rücken zu mir, er würde nicht einmal mein Gesicht sehen, heute nicht, morgen nicht, nie, oder erst beim Jüngsten Gericht, wenn es denn eines gibt.‹
T atsächlich war es egal, ob er
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