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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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mein Gesicht sah, schließlich würde ich mit ihm über Luisa reden, und sobald ich das tat, würde er ohne den leisesten Zweifel wissen, wer ich war, und außerdem hatte sie ihm wahrscheinlich sowieso von meinem plötzlichen Auftauchen in der Stadt erzählt, nach so vielen Monaten, bestimmt konnte er sich inzwischen schon denken, daß es dieser verfluchte Spinner von Ehemann war, der die Waffe auf ihn gerichtet hielt, so ein nerviger Typ, so ein Idiot und so ein Verrückter, warum blieb er nicht, wo er war. ›Es sei denn, für mich wäre es besser, sein Gesicht nicht zu sehen und seine Augen von vorne, den Blick‹, dachte ich, ›kein Wort mit ihm zu wechseln über die paar Sätze hinaus, die unten an der Haustür gesprochen wurden, die waren neutral und nicht zwischen zwei Einzelpersonen, sondern bloße unpersönliche Anweisungen. Es heißt immer, Auftragskiller vermieden es, ihren Opfern in die Augen zu sehen, angeblich ist das das einzige, was sie zweifeln lassen und hindern kann, ihnen den Hals durchzuschneiden oder sie zu erschießen, oder was zumindest für Aufschub sorgen und ihrem Gegenüber Zeit geben kann, etwas zu sagen oder sich irgendwie zu verteidigen, das einzige, was ihren Auftrag mißlingen lassen und sie dazu bringen kann, ihr Ziel zu verfehlen, vielleicht wäre es das Beste, auf der Stelle Schluß zu machen, nach Tupras Devise, ohne zu warten oder mich aufzuhalten, ohne Custardoy etwas zu erklären und ohne die geringste Neugier, so wie auch Reresby gegenüber De la Garza weder Erklärungen gegeben noch Neugier gezeigt hat, er soll sich nicht einmal umdrehen können, eine Kugel in den Nacken und das war’s, leb wohl Custardoy, ab von der Bildfläche, eine sichere Sache, nichts mehr zu machen, wie nach jeder begangenen Handlung und getanen Tat, wenn ich mit ihm rede und ihm ins Gesicht sehe, wird es mir schwerer fallen, ich werde anfangen, ihn kennenzulernen, und auch für mich wird er jemand sein, wie schon für Luisa, für sie ist er jemand Wichtiges, vor dem sie Angst hat und den sie zugleich verehrt, zweifellos, vielleicht muß ich ihn sehen und hören, um mir das vorstellen zu können, das ist das Höchste, auf das ich abzielen kann, denn wie sie ihn tatsächlich ansieht, werde ich nie erfahren, und das ist meine ewige Verdammnis etc. …‹
    Doch in Wirklichkeit wußte ich nicht, was ich zu tun hatte, um sicherzugehen, ›to just deal with him‹ und ›to make sure he was out of the picture‹, wie der abschätzige Tupra es mir mit seinem gönnerhaften Lachen empfohlen hatte, wäre er doch deutlicher geworden oder wäre ich zweisprachig gewesen und hätte ihn mit absoluter Genauigkeit verstanden, aber vielleicht gibt es in allen Sprachen Uneindeutigkeiten, die sich nicht auflösen lassen. ›Wenn du wirklich nicht weißt, wie, Jack, dann heißt das, daß du es nicht machen kannst‹, hatte er mir gesagt. Ich wußte in der Tat nicht, wie, aber ich war schon mittendrin. Ich konnte Custardoy nicht einfach hinterrücks erschießen und liegen lassen, nicht ohne weiter in meinen Grimm vorzudringen und weitere Gewißheit zu gewinnen, Luisa hatte abgestritten, daß er ihr etwas angetan habe, mir und ihrer Schwester gegenüber, ich hatte nicht die Handlung gesehen, sondern nur das Resultat, bei einem Gerichtsverfahren wäre das als Beweis gegen ihn völlig wertlos gewesen. ›Aber ich bin hier nicht bei einem Gerichtsverfahren‹, dachte ich, ›darum geht es nicht, Männer wie Tupra und wie Incompara, wie Manoia und wie so viele andere und wie diejenigen, die ich auf den Videos gesehen habe, wie die Frau, die auf einem davon mit hochgerutschtem Rock zu sehen war und mit einem Hammer in der Hand, mit dem sie einen Schädel einschlug, vielleicht auch wie Pérez Nuix und wie Wheeler und Rylands, sie alle halten keine Gerichtsverfahren ab und sammeln keine Beweise, sondern sie lösen Probleme oder ersticken sie im Keim oder machen sie unmöglich oder schaffen sie sich vom Hals, ihnen genügt zu wissen, was sie wissen, weil sie es mit ihrer Gabe oder ihrem Fluch schon sehr früh gesehen haben, sie hatten den Mut, bis auf den Grund zu schauen und zu übersetzen und über das Notwendige hinaus weiterzudenken (›Und was noch. Du hast erst angefangen. Mach weiter. Los, rasch, beeil dich, denk weiter‹, sagte unser Vater meinen Geschwistern und mir, als wir noch Kinder waren, noch Jugendliche) und zu erraten, was geschehen wird, wenn sie nicht eingreifen; sie verabscheuen das Wissen nicht wie die

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