Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
und unangebracht unter den Umständen. Sein halbes Lächeln dagegen war leutselig, als könnte er sich in zwei Menschen gleichzeitig aufspalten. Mir war unerklärlich, wie er Luisa gefallen konnte, auch wenn er etwas Großspuriges und Gemeines hatte – etwas Obszönes und Wildes und Kaltes –, das viele Frauen anzieht, das habe ich gesehen und weiß es. Bevor er Platz nahm, strich er sich über den Schnurrbart, rückte mit einer unvermeidlich femininen Geste den Pferdeschwanz zurecht, warf den Hut aufs Sofa und fragte:
»Kann ich mir ’ne Kippe anzünden? Wenn ich rauche, siehst du meine Hände ja auch, oder?« Dann setzte er sich hin, vorsichtig, die Schöße seines Trenchcoats nicht zu zerknittern. Er war dazu übergegangen, mich zu duzen, und das bestätigte mich in dem Verdacht, daß er mich identifiziert hatte.
»Ich gebe dir eine«, antwortete ich, ich wollte nicht, daß er in die Tasche griff. Ich hielt ihm eine Karelias hin und nahm mir ebenfalls eine. Ich steckte sie mit derselben Flamme an, und wir sogen zur gleichen Zeit den Rauch ein, für einen Moment sahen wir aus wie Freunde, als wir schweigend den ersten Zug nahmen. Wir hatten uns beide erschrocken, der Tabak tat uns gut. Aber der Schreck war noch nicht vorbei, und bei ihm mußte er notwendigerweise viel größer sein als bei mir, schließlich erschreckte ich mich nur darüber, daß ich mich tun sah, was ich gerade tat, und das bedeutet immer einen kontrollierten Schrecken, einen minderen, dem man überdies ein Ende setzen kann. Das darauf folgende Gespräch verlief sehr schnell.
»Also, nochmal, was soll der Scheiß«, sagte Custardoy. »Du bist Jaime, stimmt’s?« Daß er den Kraftausdruck verwendete, zeugte von Abgeklärtheit und von einer gewissen Respektlosigkeit, außer, er redete auch sonst so (er hatte freilich auch keinen Grund, Respekt vor mir zu haben, Gründe, auf mich sauer zu sein, hatte er mehr als genug); ob sie vorgeschützt waren oder echt, ich fand auf jeden Fall, daß ich ihm noch nicht genug Angst gemacht hatte, wie konnte ich es anstellen. Ich setzte mich seitlich auf die Armlehne eines Sessels, so saß ich ihm nicht nur gegenüber, sondern auch auf einem erhöhten Platz.
»Wer hat gesagt, daß du was sagen sollst. Ich habe noch nicht gesagt, daß du was sagen sollst. Nur rauchen. Also rauch und halt dein verdammtes Maul.« Ich griff zu dem Kraftausdruck, um nicht hintanzustehen, und wedelte ein bißchen mit der Llama. Ich hoffte, daß er sich mit Feuerwaffen nicht auskannte, anderenfalls würde er merken, daß ich derjenige war, bei dem das nicht der Fall war. Es ist nicht einfach, jemandem Angst einzujagen, wenn man keine Übung hat. Ich wußte, daß ich es schaffen konnte (ich hatte es gelegentlich schon getan), auf dieselbe Weise, wie ich wußte oder vermutete, daß ich imstande war, jemanden zu töten, oder wenigstens nicht außerstande; aber für beides mußte ich – vielleicht – außer mir sein, wirklich aufgebracht oder wütend oder von einer dauerhaften Rachsucht besessen, und in diesem Moment fühlte ich mich nicht so oder nicht in ausreichendem Maß, vielleicht hatte ich mich entspannt, da die erste Phase meines wenig geplanten Plans fast ohne Zwischenfälle verlaufen war, nämlich Custardoy abzufangen, hoch in seine Wohnung zu gehen und mich dort mit ihm einzusperren. Es fehlte mir an Haß. Es fehlte mir an Wissen. Es war zu viel Lauheit in mir. Es fehlte mir an Hitze. Und im Unterschied zu Tupra verfügte ich auch nicht über ausreichende Kälte.
»Na gut. Dann red halt du, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für deinen durchgeknallten Blödsinn. Was willst du denn mit deiner Pistole. Was willst du schon damit anfangen, Junge.« Und er deutete mit seinen leuchtenden und langen Zähnen erneut ein Lächeln an, das ihn beinahe sympathisch erscheinen ließ und sein Profil weniger aggressiv. Er erinnerte mich noch immer an jemanden, jetzt hatte ich keine Zeit, um in meinem Gedächtnis zu suchen, an wen.
Custardoy war mutig oder allzu selbstgewiß. Entweder gab er sich Mühe, sich nicht einschüchtern zu lassen, trotz der Waffe des Durchgeknallten, die auf seine Brust zielte, oder er war überzeugt, daß ich keinen Gebrauch davon machen würde. Diese Sätze waren herabsetzend gewesen, als wollte er uns damit kleinmachen, mich und die Waffe. Er hatte es gewagt, mich ›Junge‹ zu nennen (ich hasse Leute, die ›Junge‹ sagen), er versuchte mich herunterzumachen, ich sollte mich wie ein Jüngelchen fühlen mit
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