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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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offenbar schon, die Kraftausdrücke kamen ihm ganz natürlich über die Lippen, jedenfalls viel leichter als mir, nötigenfalls standen sie mir durchaus zur Verfügung, aber ich mußte mich doch erst einfinden in diese Art der Rede, die ich gut kannte, wie fast jeder, in der ich mich aber nicht häufig aufhielt.
    »Du weißt genau, was mich aufregt. Du weißt, was ich dir nicht durchgehen lasse, Arschloch. Ich hab’s dir schon gesagt, ab heute rührst du sie nicht mehr an.«
    Sein Mut war noch nicht ganz gebrochen. Er spielte mit hohem Einsatz. Er riskierte es, meine Lauheit zu entzünden, die er mir wohl anmerkte, und dann konnten mir die Hand und der Finger ausrutschen. Vielleicht war es ihm das wert: Vielleicht versuchte er nicht nur, selbst recht zu haben, sondern auch, es mir zu nehmen, mir so richtig die Augen zu öffnen, vielleicht wollte er sich das dumme und unerwartete Problem vom Hals schaffen und sein Leben fortsetzen, indem er mich zur Aufgabe brachte.
    »Na klar. Was wohl. Die Schläge«, sagte er, und jedes einzelne Wort kam schleppend wie die Musik aus einer Spieluhr, sie kamen allesamt langsam und gleichsam verhakt und rauh, vielleicht lag darin auch etwas vom alten Madrider Machotum, in seiner Art zu reden. Dann fügte er noch etwas Triviales hinzu, aber es schmerzte mich, als ich begriff, was er da sagte, ich brauchte einige Sekunden dazu, weil ich Mühe hatte, es zu verstehen, oder weil ich nicht wollte, oder ich mußte es erst verdauen. »Schau mal, Junge« – wieder das verhaßte Wort, das mich kleinmachte –, »wie jemand sexuell tickt, das ist ganz individuell, mit manchen Partnern schlägt es voll durch, mit anderen eben nicht. Dann war es bei dir also nicht so? Na, was soll ich sagen, mein Junge, das habe ich nicht gewußt. Bei mir war Gelegenheit dazu, und man muß jedem das geben, worauf er abfährt. Oder etwa nicht? Ich habe ihr nichts getan, was sie nicht gewollt hätte. Verstehen wir uns? Ich hoffe, du gibst mir nicht die Schuld an etwas, wofür ich nichts kann, ich hoffe, wir verstehen uns jetzt endlich, Mensch.«
    Ja, ich brauchte einige Sekunden. ›Was erzählt mir der Typ da‹, dachte ich. ›Der behauptet allen Ernstes, Luisa würde darauf abfahren, daß man ihr eine verpaßt, und das erzählt er ausgerechnet mir. Das kann nicht sein. Das ist gelogen‹, dachte ich, ›ich habe sie jahrelang intim gekannt, auch wenn das jetzt schon eine Weile nicht mehr so ist, und ich habe bei ihr nie das geringste Anzeichen dafür gesehen, das wäre mir doch aufgefallen, und wenn nur ein wenig, irgendein Hinweis, eine Unklarheit, ein Aufscheinen, das ist doch nur eine Ausrede, der Mistkerl versucht sich zu drücken, der will nur ungeschoren davonkommen, er hat kapiert, warum ich hier bin und daß der Grund doch ein schwerwiegender ist, und jetzt bereitet er die ganze Zeit schon sein Täuschungsmanöver vor, er weiß, daß ich eines sicher nicht tun werde, zu Luisa gehen und sie fragen, und das nützt er aus, indem er behauptet, er würde nur denjenigen wehtun, die ihn darum bitten oder so, aber Cristina hat mir erzählt, wie entsetzt die Frauen waren, die damals mit ihm ins Bett gingen, einige von ihnen, und auch daß sie später ihre Praktiken verschwiegen oder verheimlicht haben, warum schweigen sie wohl, wenn er nur ein Brutalo wäre, würden sie es erzählen, sie würden weitergeben, was los ist, sich gegenseitig warnen, die Nutten zum Beispiel, zu denen er geht, manchmal nimmt er gleich zwei. Doch nein, das kann nicht sein, und es ist auch nicht‹, schüttelte ich den Gedanken ab. Wie übel, daß man uns Dinge erzählt, wie übel, daß man uns Ideen in den Kopf setzt, auch wenn sie noch so unerhört und unsinnig sind und sich nicht aufrechterhalten lassen und unwahrscheinlich erscheinen (aber alles hat seine Zeit, um geglaubt zu werden), alles, was der menschliche Geist registriert, verbleibt darin, bis es das Vergessen erreicht, aber das Vergessen ist immer unvollkommen, jede Erzählung oder Information und noch die entfernteste Möglichkeit wird aufgezeichnet, und so sehr man putzt und reibt und auslöscht, dieser Kreis gehört zu jenen, die nie verschwinden; wie begreiflich ist es, daß die Leute die Erkenntnis verabscheuen und leugnen, was vor ihren Augen steht, und nichts zur Kenntnis nehmen wollen und das Wissen verwerfen, daß sie das Einträufeln und das Gift meiden und es von sich fernhalten, sobald sie es erahnen oder in ihrer Nähe spüren, das Beste ist, sich ihm nicht zu

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