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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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weitere siebzehn erschießen ließ, gleich nachdem sie an Land gegangen waren, doch in der Wirklichkeit oder in der historischen Realität waren es etliche mehr; dem der tschechischen Widerstandskämpfer oder Studenten, die das Attentat gegen den Nazi-Reichsprotektor Heydrich begingen, mit ihren mit Bottox vergifteten Kugeln, und dem des Chefs Spooner, der das alles vom englischen Special Operations Executive, dem SOE , aus geplant hatte; dem der deutschen Besatzer, die das Dorf Lidice dem Erdboden gleichmachten mit ihrem Haß auf den Ort und schnell oder langsam hundertneunundneunzig Männer und hundertvierundachtzig Frauen töteten als Vergeltung, am 10 . Juni 1942 ; dem der Auftragskiller, die vier andere Unglückliche an einem anderen verborgenen Strand niedermähten, in Kalabrien, unweit von Crotone, am Golf von Taranto, drei Männer und eine Frau, und außerdem habe ich das selbst gesehen; und dem des Typen, der einen anderen in einer Garage anbrüllte, aus so kurzer Entfernung, daß er ihn wohl mit seinem Speichel traf, und dann schoß er ihm aus nächster Nähe unter das Ohrläppchen, so wie ich es in diesem Augenblick mit Custardoy tun kann, ohne daß jemand mir zuruft: » Don’t !«, wie ich es Reresby zugerufen habe, und vielleicht hat es auch geholfen, ich kann ihm den Lauf genau dorthin halten und fertig, Blut spritzte und kleine Knochen; dem der Frau in Grün mit Stöckelschuhen und hochgerutschtem Rock und Wollpullover und Perlenkollier, die einem Mann mit einem Hammer den Schädel einschlug und sich rittlings auf ihn setzte, ohne Strümpfe, um ihm ein ums andere Mal gegen die Stirn zu schlagen; dem des europäischen Offiziers oder Söldners, unter dessen Befehl das Massaker an zwanzig Afrikanern stattfand, die in beschleunigtem Tempo fielen wie Dominosteine; dem von Manoia, auch diesem, der seinem Gefangenen die Augen ausriß, als wären sie Pfirsichkerne, und hinterher, hat mir Tupra gesagt, hat er ihm die Kehle durchgeschnitten; und dem von Ingram Frizer, dem Mörder des Dichters Marlowe in einer Taverne in Deptford, obwohl man dessen Gesicht nicht kennt und nicht einmal mit Gewißheit seinen Namen, so viele Jahrhunderte ist das her; und dem von König Richard natürlich, der die Kinder erdrosseln ließ, seine Neffen im Tower, und so viele andere töten in seinem Grimm oder auch nicht, einschließlich des armen Clarence, ertränkt von zwei Schergen in einem Faß ekelhaften Weines, während er mit den Beinen zappelte, die draußen blieben, in der Luft, die er nie wieder atmen sollte … Mein Gesicht kann sich dem von so vielen Männern und nicht so vielen Frauen anschließen und sich ihnen angleichen, die Herr über die Zeit gewesen sind und die Uhr in Händen gehalten haben – in Form einer Waffe, in Form eines Befehls – und die beschlossen, sie mit einem Mal zum Stillstand zu bringen, ohne zu warten und sich aufzuhalten, und andere so dazu zwangen, die Wünsche nicht weiterzuwünschen und selbst den eigenen Namen wegzulassen. Dieser Anschluß gefällt mir nicht. Aber ich muß Luisa alle Gefahr ersparen und alles Leid und alle Plage, damit nicht ihr Geist eines Tages diesem Kerl sagen muß, was das Gespenst der Königin Anne ihrem Mann am Abend vor der Schlacht vorwarf, und ihm nicht später den Fluch zurufen muß, den ich nicht erfülle, wo ich doch dazu in der Lage wäre: »Diese unselige Luisa, deine Frau, Esteban, die keine ruhige Stunde schlief bei dir … Möge ich jetzt wie Blei auf deine Seele fallen, und mögest du den Nadelstich in deiner Brust fühlen: Verzag und stirb.« Ja, besser, ich bringe ihn um, solange noch Zeit dazu ist‹, dachte ich, ›vielleicht bekomme ich keine weitere Gelegenheit mehr, vielleicht gibt es keine andere Art, ihn für immer von der Bildfläche verschwinden zu lassen, und diese hier ist die einzige, damit wir sicher sind.‹ Der Plural überraschte mich selbst. Und es gab mir Kraft oder Atem, festzustellen, daß ich immer noch an uns als ›uns‹ dachte.


    I ch ließ den Finger also auf dem Abzug, unterhalb des Bügels, obwohl ich nicht mehr sicher war, daß ich auf ihn schießen würde, und so verstrichen weitere Sekunden. Und in dem Maß, in dem sie vorübergingen und ich ein Unglück riskierte, sah ich Custardoy bleicher und ungepflegter werden, es war, als ob sein gepflegter Kleidungsstil mit einem Mal in sich zusammengebrochen wäre, seine Krawatte hing schief, und er wagte eine weitere mechanische Geste, um sie zurechtzurücken, ich fühlte mich

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