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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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daran erinnert, wie er an seinem Pferdeschwanz genestelt hatte – ja, eine unvermeidlich feminine Geste –, dann legte er folgsam die Hand auf den Tisch zurück. Sein Trenchcoat war zerknittert, und der Stoff schien auf einmal minderwertig; was von seinem Hemd zu sehen war, wirkte verschwitzt. Das Haar wiederum erweckte den Eindruck, es würde platt an seinem Schädel kleben, und auch der Backenbart wurde augenscheinlich glatter; er versuchte, an seinem Lächeln festzuhalten – sicher wußte er, daß es ihn freundlich erscheinen ließ –, aber es hatte seinen Glanz verloren; seine Nase wurde schärfer, oder vielleicht hatte sich meine Perspektive ein wenig verschoben, als ich nach einer bequemeren Haltung gesucht hatte; seine Augen bekamen etwas Umwölktes, und sie schienen enger beieinanderzustehen, als strebte alles in ihm danach, sich zusammenzuziehen und ein schmaleres Ziel zu bieten, ein vermutlich unbewußtes Verhalten, bei der geringen Entfernung, die uns trennte, war es völlig sinnlos, wenn ich schoß, konnte ich ihn nicht verfehlen.
    »Kennst du meine Kinder?« fragte ich ihn unvermittelt.
    »Nein. Ich habe sie nie gesehen. Ich mag es nicht, wenn man Kinder mit hineinbringt.«
    »Seit wann bist du mit ihr zusammen? Wie lange kennt ihr euch schon? Erzähl mir keinen Quatsch, ich kenne sie besser als du.«
    Daß ich das Wort an ihn richtete, daß ich ihn etwas Zivilisiertes fragte, obendrein ohne Beschimpfungen, beruhigte ihn ein wenig, obwohl sein Blick immer wieder zum Lauf der entriegelten Pistole wanderte, wie das angeblich auch noch heißt, aus seinen großen schwarzen Augen, kalt und obszön noch in der Angst, das Wilde an ihm kam eher von dem Schnurrbart in Verbindung mit der Nase.
    »Ungefähr sechs Monate.« Und er erlaubte sich hinzuzufügen: »Mehr Zeit heißt nicht immer besser. Wieso läßt du uns nicht einfach in Frieden. Mir hat noch nie eine Frau so gefallen wie sie. Du bist doch schon längst von der Szene verschwunden, wir dachten, das sei klar.« ›Aha, jetzt bin ich es also, der out of the picture ist‹, dachte ich. ›Er hat recht. Aber das wird sich ändern. Er sagt ebenfalls »wir«, Luisa und er.‹ »Luisa ist es klar, und sie hat geglaubt, dir auch.«
    »Ich weiß nicht, warum du in der Vergangenheitsform sprichst. Sie wird das auch weiter glauben, du wirst ihr von dieser Sache nämlich nichts erzählen.«
    Mit einer Pistole in der Hand klang dieser Satz nach einer ernsten Drohung, auch wenn es in Wirklichkeit keine sein sollte oder ich mich nicht in dieser Absicht geäußert hatte, sondern nur, weil ich sicher war, daß die zwei sich von jenem Tag an nicht wiedersehen würden. Custardoy kam nicht mehr so machohaft daher, ich spürte, wie seine Verunsicherung wuchs. Und da kam mir eine weitere Überlegung oder Erinnerung, die ihn eigentlich noch mehr hätte verdammen müssen, doch merkwürdigerweise trug sie zu seiner Rettung bei: ›Gütiger Himmel, der Mann ist ein »Gebrydguma« von mir, Luisa hat uns, ihn und mich, gegen unseren Willen zu »Mit-Beischläfern« oder »Mit-Vöglern« gemacht, auf dieselbe Weise, in der wahrscheinlich Tupra und ich es durch die Verbindung oder das Band von Pérez Nuix sind, und ich bin vermutlich mit etlichen Männern so verbunden, ohne die geringste Ahnung zu haben, vermittels anderer Frauen, wenn wir es zum ersten Mal mit jemandem treiben, bedenken wir nie, wen wir damit zusammenbringen und mit wem wir uns verbinden, und heutzutage wären diese phantasmagorischen, unerwünschten oder nicht gesuchten Beziehungen eine endlose Reihe. Doch jener toten Sprache zufolge, der diese Vokabel entstammt, besteht zwischen diesem Mann und mir eine Verwandtschaft und in jeder Sprache eine Affinität, soviel ist sicher, und vielleicht sollte ich ihn deshalb nicht töten, auch deshalb, wir haben etwas Einschneidendes gemeinsam, auch mir hat keine Frau so gefallen wie Luisa, letztlich lieben wir dieselbe Person, und in dem Punkt kann ich ihm nichts vorwerfen, oder vielleicht vögelt er sie doch nur, seine Gefühle kann ich nicht kennen.‹ Ich hätte versuchen können, sie in Erfahrung zu bringen, ihn fragen können, ob er sie liebte, doch die Frage wäre mir lächerlich erschienen, und außerdem war eine schußbereite Pistole auf ihn gerichtet, und so wußte ich schon, was er mir geantwortet hätte, nicht aber, ob es die Wahrheit gewesen wäre. Die Wahrheit hätte er mir in diesem Augenblick als allerletztes gesagt, wenn er glaubte, daß sie ihn das Leben

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