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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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erfordert, das muß man immer erst heben und es dann niederfahren lassen, und beide Bewegungen erfordern die gesamte Kraft des Armes oder sogar beider, und daher können Kinder es nicht führen und auch viele Frauen und kraftlose Männer nicht, die Pistole dagegen steht noch dem Schwächsten zu Gebote und dem Furchtsamsten und dem Dümmsten und dem mit dem geringsten Verdienst – viel mehr noch als die unehrenhafte Armbrust demokratisiert die Pistole das Töten –, und jeder kann damit irreparablen Schaden anrichten, man braucht sich nur gehenzulassen. Und wenn ich jetzt den Hahn spanne, wird Custardoy wirklich erschrecken.‹
    Und kaum hatte ich das gedacht, spannte ich den Hahn, Miquelíns Warnung zum Trotz. Aber das war nur ein Test und ganz kurz, ich tat es, um zu sehen, wie in Custardoys schwarzen und seltsamen Augen ein Funke von Panik aufglomm, nicht mehr als ein Funke, doch ich sah es. Und unverzüglich legte ich den Daumen auf den Schlagbolzen und ließ ihn zurück in die Ausgangsposition sinken, und ich holte die Kugel heraus, die bereits in den Lauf oder die Kammer gewandert war oder wie das heißt, und dann steckte ich sie ein, ich entspannte den Hahn. Aber Custardoy hatte schon mitbekommen, wie rasch sich die Llama spannen ließ, und dann konnten die Kugeln ihren Weg nehmen – eine Bewegung, und noch eine, und noch eine – in den Kopf oder in die Brust, in den Arm oder in ein Bein, in sein Suspensorium, das in Fetzen hängen würde wie das auf dem Gemälde, oder wohin zu zielen mir eben in den Sinn kam. ›O ja, welch merkwürdiges Gefühl‹, dachte ich, ›einen Menschen ausgeliefert vor sich zu haben. Zu entscheiden, ob er lebt oder stirbt, oder es ist nicht einmal eine Entscheidung.‹ Aber Custardoy ließ sich nicht unterkriegen, oder vielleicht wollte er recht haben, oder er versuchte mich abzuschrecken oder mich einzuschüchtern, wenn er schon keine Waffe auf seiner Seite hatte, oder mich zu vernichten oder mein Grab tiefer zu graben mit seinen häßlichen Worten und seiner Stimme. Die Stimme entstieg seiner Kehle nicht klar, sondern ein wenig heiser, als befänden sich darin winzige Stifte, ähnlich denen auf der Metallwalze in einer Spieluhr, an denen bekanntlich die Tonzungen hängenbleiben und so die repetitive und immer gleiche Melodie bestimmen oder vorgeben. Seine Worte kamen schleppend, als verlangsamten besagte Stifte die Äußerung. Die Hände hatte er noch immer auf dem Tisch. Er hatte die Zigarette ausgeraucht, vergaß jedoch nicht, meinem Befehl von vorher zu gehorchen, das war ein gutes Zeichen.
    »Hör mal, Jaime.« Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mir gegen den Strich ging, daß er mich beim Vornamen ansprach, so also, wie Luisa es tat und wie er es zweifellos bei ihr gehört hatte (wie peinlich mir dieser Gedanke war), wenn sie mich ihm gegenüber erwähnte. »Was du hier abziehst, ist ein Riesenblödsinn, und nachher, wenn du gegangen bist, wirst du der erste sein, der das so sieht. Was regt dich denn so auf? Bestimmt nicht, daß ich sie hin und wieder flachlege, da wärst du ja früh dran. Du hältst es in London bestimmt nicht anders, vögelst, wen du willst, du wirst dich daran gewöhnen müssen, ich fasse es nicht, daß das für dich nicht längst normal ist, Herrgottnochmal, zwischen euch war mal was und jetzt ist da nichts mehr. Das passiert doch täglich. Echt, ich fasse es nicht.« Er hielt inne und lachte kurz auf, noch sah er die Gefahr nicht ganz, meine Gefahr, mit seinem Lachen, das ihn fast angenehm machte und attraktiver erscheinen ließ. »Also wirklich, das ist ein Spaßvogel, mit so einer Nummer hätte ich ja nie gerechnet. Wie aus einer Scheißoper!« Er sagte das abermals, als spräche er mit einem Dritten, einem im Raum anwesenden Gespenst und nicht mit mir, und das ging mir maßlos auf die Nerven. Womöglich freute er sich schon diebisch über die Aussicht, später einem Freund davon zu erzählen (›Weißt du, was mir heute passiert ist? Abgefahren, du wirst es nicht glauben‹), oder wer weiß, auch Luisa selbst (›Wetten, du errätst nicht, wer mich heute besucht hat, und dazu noch mit einer Pistole in der Hand? Ein sauberes Früchtchen hast du geheiratet, oh Mann, du hast ja keine Ahnung, das ist ein ganz anderer Typ, als du mir erzählt hast, der ist wirklich nicht ganz dicht.‹). Aber Luisa würde er nicht wiedersehen, er wußte das nicht, ich ja. Ich bezweifelte, daß er sich ihr gegenüber so wenig gewählt ausdrückte; in ihrer Abwesenheit

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