Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Llama geerbt hatte, die eben noch in meinen Händen gelegen hatte. Vielleicht würde es sich als nützlich erweisen, zu wissen, wo ich in Zukunft eine saubere Waffe finden konnte, ohne mich an Dritte wenden zu müssen.
Er musterte mich etwas überrascht aus seinen hellen Augen, die schlecht sahen.
»Ja. Warum fragst du?« Und das Thema schien ihn aufzuwecken oder ins Heute zurückzubringen.
»Wo kommt sie her? Warum hast du sie?« Ich antwortete ihm nicht.
Er führte eine Hand an die Brauen, diesmal nicht, um sie sich mit abwesender Miene glattzustreichen, sondern wie um nachzudenken oder sich zu erinnern.
»Nun ja, mein Vater mochte Waffen sehr. Er ging kaum auf die Jagd, aber ein Schütze war er schon. Er schoß sehr gerne und war ziemlich gut darin. Er war Mitglied im Nationalen Schützenverband und besaß etliche Waffen. Einen Mauser-Karabiner, ein Baker-Gewehr, ein reich verziertes Le Page-Sportmodell; und sogar ein Gewehr, das ›Affenschwanz‹ hieß, ich weiß nicht mehr, wieso; diverse Pistolen und Revolver, darunter auch sehr alte, quasi aus dem Wilden Westen, da war eine amerikanische Le Mat und ein englischer Beaumont-Adams und zwei Derringer, einer davon mit doppeltem Lauf, und Pistolen aus dem 17 . oder 18 . Jahrhundert, ich erinnere mich an eine goldüberzogene Blunderbuss und eine Miquelet für Duelle, und eine versilberte ›Queen Anne‹, es war eine ansehnliche Sammlung. Und auch Blankwaffen aus exotischen Ländern: Krummdolche, Yatagane, philippinische Bolos, ein malaiischer Kris … und Rapiere, versteht sich.« Er machte eine Pause, dann fielen ihm noch zwei ein: »Ein nepalesisches Kukri und sogar eine Bhuj aus Indien, eine sehr merkwürdige Waffe, halb Messer und halb Axt, sie war auch als ›Elefantenkopf‹ bekannt, weil sie zwischen Klinge und Griff eine entsprechende Verzierung aus Messing hatte, und der Griff war schmal und lang …« Er sah ihn jetzt, ich begriff, daß er gerade jene Bhuj aus seiner Kindheit vor sich sah, und auch die übrigen Waffen, er bekam den Blick, den oft alte Menschen haben, auch wenn sie in Gesellschaft sind und lebhaft sprechen, es sind glanzlose Augen mit vergrößerter Iris, die sehr weit in die Vergangenheit reichen, so als würden ihre Besitzer tatsächlich physisch mit ihnen sehen, ich meine, die Erinnerungen sehen. Es ist kein abwesender oder verträumter Blick, sondern ein intensiver, konzentrierter, nur eben auf etwas, das in großer Ferne liegt. Und nach seiner kurzen Träumerei erzählte er weiter: »Meinen Bruder und mich hat er mit diesem Hobby angesteckt. Er zeigte uns die Waffen, er erklärte uns alles, er brachte uns bei, sie mit peinlicher Vorsicht zu handhaben.«
»Aber was wollte er mit den Blankwaffen? Er wird ja wohl nicht damit geworfen haben, oder? Beim Nationalen Schützenverband hätten sie ihm nicht gestattet, einen malaiischen Kris durch die Gegend zu schleudern.«
Jetzt war er voll und ganz am Gespräch interessiert, oder zumindest an seinem Abtauchen in die ferne Erinnerung, und so reagierte er sofort amüsiert auf meinen Scherz, obwohl er so tat, als ob das nicht der Fall wäre:
»Was für Narren ihr doch seid, ihr laßt nie eine Gelegenheit aus, um irgendeinen Blödsinn von euch zu geben.« Dieser Plural, der immer alle vier Kinder einschloß, auch wenn nur eines von uns da war. »Selbstverständlich hat er nicht damit geworfen. Aber sie gefielen ihm. Keine Ahnung. Er war 1870 geboren, und die Menschen jener Zeit hatten allgemein eine Vorliebe für Waffen. Das war ziemlich normal. Damals war es nicht so verbreitet, kriminellen Gebrauch davon zu machen, wie heute.«
»Verstehe«, sagte ich. »Es erscheint allerdings als nicht besonders klug, daß er euch Kinder damit hantieren ließ, oder? Ihr hättet euch den Schädel wegpusten oder den Hals abschneiden können, dein Bruder und du. Rapiere hatte er, hast du gesagt? Ich weiß, wie scharf ein Schwert ist. Heute würden die Behörden, was sage ich, die Nachbarn, einen Riesenaufstand machen, wenn sie von so etwas Wind bekämen. Heute würden sie deinen Vater dafür einlochen.«
Das Wort ›einlochen‹ auf seinen Vater angewandt zu hören, mißfiel ihm anscheinend, auch wenn es von mir kam und im Spaß.
»Heute handelt man in vielem lächerlich«, erwiderte er vorwurfsvoll, als wäre ich eine Behörde oder ein Nachbar. »Heute löst alles mögliche Entsetzen aus, und die Leute sind im Persönlichen sehr unfrei und auch bei der Kindererziehung immer unfreier. Früher hat man
Weitere Kostenlose Bücher