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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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muß jeder an sich selber denken. Ich habe mich gerettet, und ich bin da.‹
    Ich ging raschen Schrittes die Treppe hinunter (›»Do I dare?« and, »Do I dare?« Time to turn back and descend the stair …‹), in Eile, hinauszukommen und mich zu entfernen, ein Taxi zu nehmen und unverzüglich Miquelín die alte Pistole zurückzugeben, nachdem ich die drei ausgeworfenen Patronen wieder ins Magazin gesteckt hätte, ich würde ihm sagen: ›Tausend Dank, Maestro, das werde ich dir nicht vergessen. Hier hast du sie wieder. Es fehlt nicht eine Kugel, da kannst du beruhigt sein. Und sie trägt nicht mal meine Abdrücke. Als hättest du sie mir nicht geliehen, als hätte sie diesen Raum niemals verlassen.‹
    Es kamen keine freien Taxis vorbei, immer noch der wolkige Himmel, Blitze ohne Donner, kurz davor, sich zu entladen, ohne sich zu entladen, und so marschierte ich rasch los, noch immer auf demselben Weg von der Calle Mayor in mein Hotel, ich trug immer noch die Handschuhe, ich wollte diesen Ort hinter mir lassen. Ich hatte die Leichtigkeit dessen in mir, der sich durchgesetzt hat, und etwas von der Überheblichkeit, die ich empfunden hatte, als ich feststellte, daß Rafita Angst vor mir hatte, daß ich ungewollt Schrecken in ihm auslöste. Sich selbst als Gefahr zu sehen, hatte seine angenehmen Seiten. Man fühlte sich selbstsicherer, optimistischer, stärker. Man fühlte sich wichtig und – wie soll ich sagen – als Herr. Im Unterschied zu damals widerte mich diese Eitelkeit anschließend nicht an. Aber ich trug auch ein unvermitteltes Gefühl von Schwere in mir, es entsteht aus mehreren Verbindungen, von Schrecken und Eile, von Widerwillen angesichts der kalten Vergeltung, zu der wir uns gezwungen sehen, von übermächtiger Fügsamkeit in einer bedrohlichen Situation. Ein gewisser Widerwille war in mir, auch eine gewisse Eile, meine Vergeltungsmaßnahme hatte ich bereits zu Ende gebracht. Erst auf Höhe der Plaza de la Villa, als ich von neuem die Statue des Marqués de Santa Cruz sah (›Der wilde Türk’ in Lepanto, auf Terceira der Franzos’, auf allen Meeren der Brite, ihr Schrecken vor mir war groß …‹, ›And in short, they were afraid‹ ), begann ich fieberhaft zu denken, einmal und nochmal und nochmal: ›Man kann doch nicht einfach so Leute verprügeln, sie einfach so töten. Wieso nicht? Man kann doch nicht einfach so Leute verprügeln … Sag mir, deiner Meinung nach: Wieso kann man nicht? … Man kann sie nicht einfach so töten. Wieso nicht? Deiner Meinung nach.‹ Und mir fielen auch Tupras bei sich zu Hause geäußerten Worte ein, als die Sitzung mit seiner Videosammlung vorüber war: ›Du hast gesehen, wie sehr man das überall tut und mit welcher Sorglosigkeit bisweilen. Erklär mir also, warum man nicht kann.‹ Und ich antwortete mir, was ich ihm geantwortet hatte, just bevor uns Beryl unterbrochen hatte oder wer jene Frau auch gewesen sein mochte, der Mensch an seiner Seite, sein Schwachpunkt, so wie Luisa der meine war: ›Weil so niemand leben könnte.‹ Dieser Satz von mir hatte keine Erwiderung gefunden. Doch an der Puerta del Sol hatten sich meine Gedanken gewandelt, und dies war das einzige, was sie wiederholten: ›Viele Einäugige und Einhändige, aber er ist von der Bildfläche verschwunden. Viele Lahme und Tote in diesen alten Straßen, aber er ist von der Bildfläche verschwunden. Ja, jetzt ist er von der Bildfläche verschwunden, und es soll ihm bloß nicht einfallen, wieder aufzutauchen.‹


    D och eigentlich dachte ich an gar nicht viel, bis ich auf der Rückreise nach London im Flugzeug saß, ich meine, ich schob jeden geordneten Gedanken auf und beschränkte mich in den wenigen Tagen, die mir in Madrid blieben, auf Gefühle, Eindrücke und Intuitionen. Ich widmete die Zeit den Kindern, mit denen ich alles mögliche unternahm (unersättliche Kinder, wie alle heutzutage, nehme ich an, sie haben verlernt, sich zu Hause aufzuhalten, was sie als Bestrafung ansehen, und fordern ständige Ablenkung in der ermüdenden Außenwelt), und auch meinem Vater, der ganz langsam, aber wahrnehmbar abbaute.
    Das letzte Mal, als ich zu ihm ging, am Vorabend meiner Abreise, saß er wie fast immer in seinem Sessel, die Hände verschränkt wie einer, der ohne Ungeduld wartet oder ohne zu wissen, worauf – vielleicht darauf, daß es Nacht wird und dann wieder Tag –, und hin und wieder führte er die Finger an die Brauen und strich sie sich unbewußt glatt, und dann fuhr er sich mit

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