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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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ich, daß es im Flugzeug nicht irgendein reißerisches Revolverblatt gab wie die Sun, aus demselben südlichen Imperium wie die Times und somit stärker dem Skandal, dem Moralin und dem Verbreiten von Gerüchten zugeneigt: Diese Art von Presse rieb sich jetzt zweifellos die Hände und riskierte es, gegen jedes Gesetz zu verstoßen, solange damit nur eine höhere Auflage erzielt wurde. Ich warf für den Fall der Fälle einen Blick in El País, aber das Thema wurde dort nüchtern und knapp abgehandelt und es wurde nichts anderes berichtet, als die Kollegen in London zu wissen wagten. Doch mein Bedauern hielt, wie gesagt, nicht lange an, es war ein Moment der Naivität, denn ich brauchte nichts über die Einzelheiten und die Umstände und die Vorgeschichte und die Beweggründe zu erfahren, nicht einmal die psychologische Erklärung, nach der sich die Journalisten und der eine oder andere Kommentator fragten. Für mich war klar, daß Tupra den höchsten biographischen Horror auf jenes Idol geworfen, daß er es in erzählerischen Abscheu getaucht hatte wie in ein Faß von ekelhaftem Wein, daß er ihm eine Kienfackel angesteckt und es mit Buchstaben aus Feuer in die Liste derjenigen eingetragen hatte, die unter dem K-M- oder Killing-Murdering- oder Kennedy-Mansfield-Fluch standen, wie das in unserer kleinen namenlosen Gruppe hieß und wer weiß, durch Nachahmung vielleicht auch an anderem, höherem Ort; daß Reresby oder Ure oder Dundas ihn nicht nur zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt hatte, die für eine so berühmte Persönlichkeit wie Dearlove eine langsame und unaufhörliche Hölle darstellen mußten – ich meine unaufhörlicher und langsamer als für die anderen –, oder die im besten Fall durch einen schnellen Tod von der Hand anderer Sträflinge unterbrochen würden, da er ein derart zwielichtiges Verbrechen verübt hatte; nein, er hatte ihn dazu verurteilt, daß die gesamte Geschichte seines Lebens und seiner Errungenschaften verblich, als hätte man ihm einen raschen Pinselstrich mit schmutzig-weißer oder aschgrauer oder kranker Farbe verpaßt, daß seine Laufbahn und das, was er aufgebaut hatte, in sofortige Vergessenheit geriet und nie wieder jemand seinen Namen erwähnen, lesen oder hören könnte, ohne ihn auf der Stelle mit diesem abschließenden Verbrechen in Verbindung zu bringen. Sogar die Mütter würden es anführen, um ihre ahnungslosen Kinder zu warnen, und zudem würden sie es im Laufe der Zeit in verzerrender und übertriebener Weise tun: ›Paß auf, mit wem du dich einläßt und mit wem du gehst, man kann niemandem trauen. Denk dran, was Dick Dearlove mit dem russischen Jungen gemacht hat, er hat ihn mit zu sich nach Hause genommen und ihn von oben bis unten aufgeschlitzt.‹ Und ich war ebenso sicher, daß es sich so verhielt, wie ich sicher war, daß Tupra bereits über einen Mitschnitt verfügte, ein Video mit den Ereignissen, zu denen die Presse Mutmaßungen anstellte und über die noch fast niemand etwas wußte; bestimmt war darauf der vollständige Ablauf zu sehen, von der Ankunft des jungen Bulgaren R. D. bei Dearlove bis zu dem wütenden oder panischen Moment, in dem dieser ihn mit der Lanze durchbohrte und ihm den schnellen Tod brachte, auch wenn er dafür anscheinend zwei Stöße benötigt hatte – erst in den Hals und dann in die Brust, es kann auch umgekehrt gewesen sein –, um ihn endgültig zum Schweigen zu bringen und ihm sein Ende zu bereiten; und um dann womöglich noch mit getrübten Sinnen und in kindischem Triumph (dieses Gefühl konnte nicht lange angehalten haben, und für den Rest seiner Tage würde er es nur noch beklagen können) der Leiche das Handy oder die kleine Kamera abzunehmen, mit denen der Junge die kompromittierenden Fotos geschossen und die Dearlove anscheinend nicht gefunden hatte, als er ihn beim Eintreten spielerisch abtastete, womöglich weil Tupra dafür gesorgt hatte, daß der Besucher sie nicht bei sich tragen mußte, sondern sie schon irgendwo im Haus bereitlag, vor der galanten oder geschäftlichen Verabredung der beiden, wie die berühmte Pistole, die in der Toilette des Restaurants auf Al Pacino wartete, im ersten Teil jenes dreiteiligen Meisterwerks, ein Teil besser als der andere.
    Tupra würde es nicht nötig haben, von diesem Band oder dieser DVD Gebrauch zu machen, entscheidend war in diesem Fall nicht gewesen, sie sich zu beschaffen und für die Zukunft aufzubewahren, um später etwas von Dearlove bekommen oder ihn von etwas abbringen

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