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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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sie sagte, ich hörte nur einzelne Wörter und lose Sätze. »Nein, ehrlich gesagt, verstehe ich diese Situation überhaupt nicht, erst geht alles so schnell und jetzt ist es so kompliziert. Nein, ja, wenn das so ist, so lange kennen wir uns nun auch nicht, ich weiß ja nicht jedes Detail über dich, darum geht es mir auch gar nicht, aber das hier ist mir jedenfalls neu, so war das bisher nicht … Ja. Und du klingst seltsam, du klingst anders.« Sie verstummte erneut, dann tuschelte sie fast und dann hob sie wieder die Stimme, als sie sagte: »Also, paß auf, ich weiß nicht, was du hast, es ist, als ob eine andere Person mit mir reden würde. Als ob du plötzlich Angst vor mir hättest, und ich werde dich sicher nicht bedrängen.« ›Nicht du bist es, vor der er Angst hat, Liebste‹, dachte ich. ›Er hat Angst vor mir.‹ »Na gut, wie du willst. Das mußt du wissen, das ist deine Sache, ich habe auch keine Lust, herumzurätseln …« Und die letzten sieben Wörter, die nun kamen, sagte sie ganz kühl: »Gut, in Ordnung. Wie du meinst. Tschüß.«
    Unter anderen Umständen hätte es mir gar nicht gefallen, dieses Gespräch mit anzuhören, wie Luisa sich bei einem anderen Mann beschwerte, wie sie kurz davor stand, ihn anzubetteln, und mit verletzter Würde auf sein Ausweichen oder Desinteresse reagierte. Doch diese Szene hatte ich selbst vorbereitet, ich hatte sie geradezu gestaltet und diktiert, als wäre ich Wheeler, der Zeit auf die Verfertigung oder Komposition ausgewählter Augenblicke verwendete oder seine zahlreichen leeren oder toten Zeiten gewissermaßen zu einigen wenigen vorgestellten Szenen und vorbedachten Dialogen hinführte, nachdem er seinen Part bereits memoriert hatte. Nur daß ich mich an jenem Gespräch nicht beteiligt hatte, oder es hatte Custardoy für mich gesprochen, schließlich waren es nicht seine wahren Worte gewesen, vielmehr hatte ich ihn dazu angestiftet, sie zu sagen, wie ein Yago, oder ihn gezwungen, sie auszusprechen. Zu erfahren, daß ich da war, an Luisas Seite, mußte seine Furcht noch gesteigert haben, auch seinen Haß auf mich. Das war ein Zufall gewesen, aber er hatte es vermutlich nicht als solchen empfunden, er mußte geglaubt haben, daß ich den Ablauf überwachte und auf der Hut war. Umso besser für mich.
    Luisa kam zu mir, das Mobiltelefon noch in der Hand und mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Fassungslosigkeit, Resignation und Ärger mischten. ›Du hast noch viel vor dir‹, dachte ich, ›du wirst noch verzweifeln. Und dann wirst du mich suchen, weil ich bin, was du am besten kennst, und weil ich derjenige bin, der vielleicht immer dasein wird.‹
    »Also, ich gehe dann«, sagte ich und griff nach meinem Trenchcoat und den Handschuhen. Sie hatte ihren Gesprächspartner gebeten, sie in fünf Minuten zurückzurufen, sie war sofort bereit gewesen, unseren kleinen Plausch zu opfern, zu dem wir fast unverhofft gekommen wären. Für sie war nachrangig, ob das auf der Strecke blieb, ob es sich ergab oder nicht. Zu dem Zeitpunkt war es das für mich auch. Meine Chance lag nicht auf dieser Reise, das würde noch einige Zeit dauern.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Jemand aus der Arbeit. Die Leute benehmen sich manchmal recht merkwürdig. Kündigen etwas an und tun dann, als ob davon nie die Rede gewesen wäre. Verschwinden einfach.« Es wäre nicht nötig gewesen, daß sie mir falsche Erklärungen gab. Ihr Gespräch war ganz offensichtlich persönlicher und nicht geschäftlicher Natur gewesen. Ich wußte, was ihr gerade geschah, sie noch nicht. Es machte mir nichts aus, so viel Vorsprung vor ihr zu haben, es machte mir nichts aus, sie zu täuschen. ›Das ist nicht der Jaime, den ich kenne‹, sollte Cristina später zu mir sagen. Aber ich hatte es schon vorher gedacht: ›Nein, ich bin es nicht. I am more myself .‹
    Luisa brachte mich zur Tür. Wir küßten uns auf die Wangen, doch diesmal umarmte sie mich auch. Ich spürte, daß sie es mehr aus Schutzlosigkeit tat oder aus einer plötzlichen Vorahnung des Verlassenseins und des Verlusts, nicht so sehr aus Zuneigung. Dennoch erwiderte ich die Umarmung kräftig und gerne. Es kostete mich keinerlei Mühe, sie in den Arm zu nehmen, das hat es nie.
    ›Komm, komm zu mir zurück, ich werde geduldig sein, ich werde warten; aber laß dir jetzt nicht mehr viel Zeit‹, dachte ich im Flugzeug, als ich diesen Abschied Revue passieren ließ. Und anschließend zitierte ich für mich ein zeitgenössisches englisches Gedicht, das

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