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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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dieser russische Junge, der nicht einmal von meiner Existenz gewußt hatte, so wie mir die seine unbekannt geblieben war, solange sie dauerte, war durch meine Voraussage oder meine Hypothese oder Fabulierung getötet worden, durch das, was ich gesagt und erzählt hatte, und fortan würde ich mir immer wieder sagen müssen: › For I am myself my own fever and pain . Und so bin ich mein eigener Schmerz und mein Fieber.‹
    Als ich mein Apartment betrat, das für eine gewisse Zeit mein Heim gewesen ist, naiv möbliert von irgendeiner englischen Frau, die ich nie gesehen habe, wählte ich als allererstes Tupras Privatnummer. Es war Wochenende, und in dem namenlosen Gebäude befand sich vermutlich niemand, theoretisch jedenfalls nicht, ich war nicht der einzige, der sich zu ungewöhnlichen Zeiten dorthin begab, um Aufgaben zu erledigen oder Berichte fertigzustellen oder herumzukramen oder Nachzuforschungen anzustellen. Wie schon bei meinem Anruf aus Madrid antwortete mir eine Frauenstimme. Ich fragte nach dem Vornamen, den ich so ungern verwendete, Bertie, um meine Vertrautheit mit ihm unter Beweis zu stellen, wobei das nicht notwendig gewesen wäre, wenn ich seine Privatnummer kannte, mußte es ja eine gewisse Vertrautheit geben.
    ›Er ist verreist‹, erwiderte sie. ›Wer spricht da, bitte?‹ Was ich nicht hatte, war seine Handynummer, Tupra war da sehr zurückhaltend und fand außerdem, daß alles warten könne, ›wie in früheren Zeiten auch‹, wie er dann gerne unterstrich.
    ›Jack Deza‹, sagte ich, und unwillkürlich sprach ich das ›z‹ spanisch aus, ich hatte mir das während der Tage in meinem Land wieder angewöhnt, es mußte sich für ein englisches Ohr anhören wie ›Daetha‹ oder ›Deatha‹ . ›Ich arbeite mit ihm zusammen und müßte ihn dringend sprechen. Könnten Sie mir eventuell seine Handynummer geben, wenn Sie so freundlich wären? Ich bin gerade aus Madrid zurückgekehrt und hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, das ihn sehr interessieren wird.‹
    ›Nein, tut mir leid, die kann ich Ihnen leider nicht geben. Das kann nur er selbst‹, antwortete die Frau. Und sie fügte mit einer gewissen Impertinenz hinzu, die mich argwöhnen ließ, daß es sich um Beryl handelte, während des Abendessens bei Wheeler hatte ich nicht lange genug mit ihr gesprochen, um jetzt ihre Stimme erkennen zu können, die nicht mehr sehr jung klang, aber auch nicht wie die eines älteren Menschen: ›Wenn Sie sie nicht haben, dann wird das wohl so sein, weil er es nicht für nötig erachtet hat.‹
    ›Sind Sie Beryl?‹ fragte ich und riskierte damit einen Beziehungs- oder Ehekrach bei meinem Chef, falls sie es nicht war. Aber das kümmerte mich nun wenig, ich hatte meine Entscheidung getroffen. Oder fast getroffen, nichts ist sicher, bis es endlich getan ist und sich gesetzt hat.
    ›Wozu wollen Sie das wissen?‹ kam ihre Erwiderung. Und in einem Ton, der mir halb streng und halb schnippisch klang, bekräftigte sie: ›Sie brauchen nicht zu wissen, wer ich bin.‹
    ›Vielleicht‹, dachte ich, ›hat Tupra Beryl angewiesen – wenn es denn Beryl ist, und das dürfte stimmen –, nicht herumzuerzählen, daß sie wieder zusammen sind, mehr noch, daß sie wieder unter einem Dach wohnen, mag sein, daß sie es vorziehen, sich wie ein Liebespaar und nicht wie ein Ehepaar vorzukommen, und daß sie sich im Heimlichen wohlfühlen.‹ Ihre langen Beine und ihr seltener, angenehmer, sehr sexueller Geruch fielen mir wieder ein, womöglich war es das, was Tupra ein ums andere Mal zu ihr hinzog, manchmal haben wir eine Schwäche für die einfachsten Dinge und können darauf nicht verzichten. Fast hätte ich zu ihr gesagt: ›Sehen Sie, wenn Sie Beryl sind, dann kennen wir uns. Ich bin ein Freund von Sir Peter Wheeler, und wir wurden einander vor einiger Zeit bei ihm vorgestellt.‹ Doch ich ließ es bleiben, der Gedanke kam mir, daß weitere Versuche die Sache nur schlimmer machen würden.
    ›Verzeihung, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten‹, sagte ich. ›Könnten Sie mir dann vielleicht sagen, wann Bertie zurückkommt?‹
    ›Das weiß ich nicht so genau, aber ich vermute, wenn Sie für ihn arbeiten, sehen Sie ihn am Montag im Büro. Ich nehme an, daß er dasein wird.‹
    Das bedeutete wohl, daß ich ihn am Wochenende nicht noch einmal zu Hause anrufen sollte. Ich bedankte mich bei ihr und legte auf, ich würde warten müssen. Ich öffnete das Guillotine-Fenster, um nach den Tagen der Abwesenheit durchzulüften,

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