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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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nicht vor.
    Ich rief die junge Pérez Nuix an, sie war zu Hause, ich begrüßte sie, sagte, ich sei gerade zurückgekommen, und fragte sie, ob wir uns am Abend oder am nächsten Tag sehen könnten (›Es ist dringend, es ist wichtig; aber es wird nicht lange dauern, nur einen Augenblick‹, sagte ich zu ihr, so wie sie einmal zu mir gesagt hatte, und dann hatte das Ganze bis in die Morgenstunden gedauert; es war bei diesem einen Mal geblieben). Sie erklärte sich einverstanden, sie versuchte nicht, vorab herauszufinden, worum es ging, und sagte, sie könne gerne in meine Gegend kommen (›Etwas frische Luft zu schnappen wird mir guttun, ich bin heute kaum draußen gewesen und ich muß sowieso den Hund ausführen‹), unser Verhältnis war von uneingestandener Loyalität geprägt. Wir verabredeten uns in der Bar des Luxushotels, das durch mein Fenster zu sehen war (›Gib mir nur anderthalb Stunden, so lange ich eben für meine Runde mit dem Hund brauche und für den Weg zu dir‹), und als sie mir gegenübersaß und unsere Getränke vor uns standen, erzählte ich ihr von der Sache mit Dick Dearlove und den Interpretationen, um die Tupra mich gebeten hatte, nach seinem Abendessen- cum -Berühmtheiten in London und später in Edinburgh. Ich berichtete ihr von meinen prahlerischen Verdikten, von meinen Hypothesen, meinen Theorien, meinen Inszenierungen, meinen Voraussagen. So wie die Dinge gelaufen waren, hatten sie sich als Vorwissen erwiesen.
    »Das ist ein allzu großer Zufall, findest du nicht?« schloß ich und dachte keine Sekunde lang, daß sie mir widersprechen könnte.
    Ich merkte, daß sie ein wenig unangenehm berührt war, aus irgendeinem Grund machte mein Kummer sie ungeduldig oder mißfiel ihr, und sie trank langsam einen Schluck, so wie man es tut, wenn man seine Worte noch etwas abwägen will. Schließlich antwortete sie:
    »Jaime, Zufälle gibt es nun einmal, das weißt du. Ich glaube sogar, sie sind etwas ganz Alltägliches. Aber bei Bertie vermutlich nicht. Wenn Tupra« – korrigierte sie sich – »in die Sache verwickelt ist, dann ist das unwahrscheinlich, da hast du schon recht. Bei ihm ist fast nichts zufällig.« Sie verstummte kurz, musterte mich mit einem Ausdruck, der mir nach einem Anflug von Mitleid aussah, und fuhr fort: »Aber was plagt dich eigentlich? Daß du ihm die Idee für eine Falle geliefert hast, die dir nicht gefällt? Daß der Leidtragende dieser Falle nicht nur der war, für den sie vorgesehen war, sondern noch ein Zweiter? Daß es einen Toten gegeben hat, ein willentlich in Kauf genommenes, ein instrumentelles Opfer? Natürlich, wie willst du, daß ich es sage, ich verstehe, daß dir das Unbehagen bereitet. Aber darüber haben wir damals schon geredet«, brachte sie mir in Erinnerung. Und als ich sie entgeistert ansah, fügte sie hinzu: »Ja, doch, ich habe dir gesagt, daß das, was Tupra tut oder läßt, eigentlich nicht unsere Sache ist. Jeder, auf welchem Gebiet er auch tätig ist, bringt seine Chefs auf Ideen. Und wenn sie sie gut finden, machen sie sie sich zueigen und halten sie, zwei Minuten nachdem sie davon gehört haben, schon für die ihren. Es ist ziemlich ärgerlich, sie klopfen einem nicht mal auf die Schulter, aber es enthebt uns auch der Verantwortung. Wie gesagt, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was mit unseren Berichten passiert, das ist, als würde ein Romanautor sich Gedanken über die möglichen Käufer und Leser seines Buchs machen, wie sie es wohl verstehen und was sie daraus ableiten werden.«
    Ich erinnerte mich daran und auch, daß ich ihr geantwortet hatte, der Vergleich stimme womöglich nicht. Sie hatte noch einige weitere angestellt, keiner davon hatte mich überzeugt. Wieder fand ich sie erfahrener, in gewissem Sinn älter als ich. Sie sah mich an, als wohnte sie nicht ohne Überdruß etwas bei, das sie schon vor längerer Zeit durchlebt und hinter sich gelassen hatte. Vielleicht stammte daher ihre Ungeduld oder ihr Mißfallen, ihr Unwohlsein: Es ist unangenehm, einem anderen zu erklären, was man unter großen Mühen und ohne fremde Hilfe hat lernen müssen. Sie konnte allerdings auch Tupras Hilfe gehabt haben, der kein schlechter Argumentierer war.
    »Ich fand den Vergleich nicht stimmig«, erwiderte ich. »Und der Autor, der könnte doch trotzdem genauer darauf achten, was er in seinem Buch unterbringt, oder?«
    »Ich glaube nicht, daß auch nur ein einziger das tut«, schloß sie das Thema ab. »Wenn es so wäre, würde niemand etwas

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