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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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daß er für irgend jemand Wichtigen eine Bedrohung sein konnte, den ausgerechnet der Secret Service beschützen müßte. Auf mich hat er den Eindruck eines Mannes gemacht, der seinen Niedergang verheimlicht, aber auf dem absteigenden Ast ist. Tatsächlich sah er selbst sich schon im Verschwinden begriffen. Weniger aus der Welt als aus dem Gedächtnis der Leute. Das bereitete ihm große Sorgen, es machte ihn bitter und es machte ihm Angst.«
    »Ich hab’s dir schon gesagt, im Prinzip ist es wenig wahrscheinlich, daß staatliche Institutionen in dieser Weise gegen ihn vorgegangen sind. Ich neige also mehr dazu, von einem persönlichen Racheakt Tupras auszugehen, irgendeiner offenen Rechnung, sie hatten ja oft genug miteinander zu tun, oder es war der eines anderen, dem Tupra damit einen Gefallen erwiesen hat. Und auch eine Auftragsarbeit ist nicht auszuschließen, ohne Gefälligkeiten.«
    »Ein bezahlter Auftrag, meinst du?«
    »Ja, warum nicht, ich hab’s dir schon mal erklärt. Dieser Dearlove mag ja in jeder Hinsicht auf dem absteigenden Ast sein, aber es ist bekannt, daß er im Laufe seiner Karriere als Star mit zahlreichen Minderjährigen beider Geschlechter etwas hatte, von denen einige zu ihrer Zeit zweifellos durchaus von Interesse waren, um deinen Ausdruck zu verwenden, aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Abstammung oder ihrer sozialen Stellung. Viele von ihnen werden nun schon volljährig sein und einige wohl vermögend genug, um sich einen solchen Auftrag leisten zu können. Es gibt auch Eltern oder Geschwister. Was weiß ich, vielleicht hat Dick Dearlove einer Schwester oder einem jüngeren Bruder von Tupra das Leben kaputtgemacht. Oder es war gar Tupra selbst« – sie mußte über den Gedanken lachen –, »den er einst verdorben hat.«
    »Hältst du das wirklich für möglich? Er kann doch nicht viel jünger sein als er. Hat Tupra überhaupt Geschwister?«
    Die junge Pérez Nuix mußte abermals lachen, diesmal über meine Naivität oder darüber, daß ich ihre Äußerungen so wörtlich nahm.
    »Nein, Jaime, nein, Bertie hat schon von Geburt an niemand verderben oder zu etwas verleiten können, das er nicht von sich aus hätte tun wollen. Ich kann mir fast nicht vorstellen, daß er einmal unschuldig und formbar gewesen sein soll, ehrlich. Und außerdem habe ich das Verb, wie du dir denken kannst, nur in Anführungszeichen verwendet. Ich habe keine Ahnung, ob er Geschwister hat oder nicht, ich habe ihn nie ein Wort über seine Familie oder seine Herkunft verlieren hören, ich weiß nicht einmal, woher sein Name kommt.« ›Auch Peter wußte das nicht; mag er sich auch darüber lustig gemacht haben‹, dachte ich. »Niemand weiß viel über ihn. Es ist, als wäre durch Spontanzeugung zur Welt gekommen.« Patricia hatte ihn schon wieder Bertie genannt und war dabei in einen gewissen erinnerungsgesättigten Ton verfallen, ohne es zu merken, ungewollt, wie viel war zwischen den beiden wohl vorgefallen. Doch sie kam schnell wieder zur Sache. »Was ich dir sagen will, ist, daß die Möglichkeiten unbeschränkt und nebensächlich sind, es hat keinen Sinn, dem nachzugrübeln.« Wieder spürte ich, daß sie mich mit einem Anflug von Mitleid musterte. Es war, als täte ihr leid, mich eine Entwicklung durchlaufen zu sehen, die sie bereits hinter sich hatte, so fühlte es sich auch diesmal an. Ebenso denkbar war, daß es sie langweilte oder ihr gar auf die Nerven ging. »Was spielen die Gründe für eine Rolle, Jaime. Sie gehen dich nichts an. Nicht einmal die bloße Tatsache geht dich etwas an, auch wenn du es in diesem Augenblick so empfindest. Aber das stimmt nicht. Du mußt dich an so etwas gewöhnen. Es wird nicht oft vorkommen, du siehst ja, es das ist das erste Mal, seit du zu uns gekommen bist. Vielleicht kommt es auch nie wieder vor. Aber du mußt dich daran gewöhnen, falls es doch einmal eintritt, für Ausnahmefälle. Sonst kannst du nicht weitermachen.«
    »Ich glaube nicht, daß ich weitermache«, entgegnete ich.
    Die junge Pérez Nuix zeigte sich überrascht, aber ich hatte den Eindruck, daß das nur vorgetäuscht war, als meinte sie, keine Überraschung zu zeigen wäre mir gegenüber unhöflich oder ein Zeichen von Geringschätzung. Tupra zufolge war sie die Beste, sie kannte mich sicher gut, vielleicht besser als ich, vor allem, weil ich nicht interessiert war und darauf verzichtet hatte, mich zu verstehen, wozu auch. (›Denn keinen kennt ein anderer besser als er selbst, und doch kennt keiner sich

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