Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
das hier an: ›Findet und meldet ihn‹, und der Spion wird wie ein Monster dargestellt, mit elefantiasischen Augen und Ohren und einer Riesennase, man stellt sofort eine Verbindung zum italienischen Faschismus her, und ich weiß nicht, trägt er nicht auch ein Priesterbirett, kannst du das erkennen, oder was siehst du? Ganz zu schweigen von diesem anderen: ›Findet die fünfte Kolonne und trampelt sie erbarmungslos nieder‹; deren Mitglieder sind im Lichtstrahl einer Taschenlampe wie ein Haufen räuberischer und blutrünstiger Ratten gezeichnet, während die Sohle eines gewaltigen Schuhs und ein mit Nägeln versehener Schlagstock sich anschicken, sie zu zerquetschen. Das ist natürlich ein Plakat der von den sowjetischen Stalinisten beherrschten Kommunistischen Partei, und die hetzten zur gnadenlosen Jagd auf den Feind wie auf den Lauen, man sollte ihnen ohne Federlesens den Garaus zu machen, die Franquisten auf der anderen Seite hielten es genauso. Und schau dir das nächste an: Der Späher wird als ›die Bestie‹ bezeichnet: ›Die Bestie lauert schon. Vorsicht beim Reden!‹, und er hat eine Krone auf und trägt auf der Brust ein Kreuz, das an einer Kette baumelt, nicht wahr?, das verleiht ihm etwas Feminines. Der Mann im Hinterhalt wird also charakterisiert, es werden Aussagen darüber getroffen, wer und was für ein Mensch er ist, er wird bloßgestellt. Andere Plakate dagegen, etwa die des berühmten Renau mit dem Auge und dem Ohr oder das an die Milizsoldaten gerichtete von der Dirección General de Bellas Artes haben wieder mehr mit den unseren gemeinsam, sie sind nicht so aggressiv, defensiver, präventiver, neutraler, findest du nicht? Sie warnen schlicht vor Spionage. Der Text auf dem letzten könnte ohne weiteres auf einem der späteren aus Großbritannien stehen: ›Gebt keine Einzelheiten über die Lage an der Front preis. Nicht euren Kameraden. Nicht euren Geschwistern. Nicht euren Verlobten.‹ Diese vermaledeiten Verlobten. Man bezog sie allzusehr in das eigene Leben ein, und sie machten es umgekehrt genauso, zu einer Zeit, als niemand sich des anderen sicher sein durfte. Ein hochinteressantes Buch, Jacobo, tausend Dank, daß du an mich gedacht und es mir aus Spanien mitgebracht hast, schwer wie es ist.« Er dachte einige Sekunden lang nach, dann fügte er hinzu: »Ja, dieser Haß ist überaus bemerkenswert. Das ist etwas ganz Eigenes. Ich weiß nicht, ob wir das hier so kennengelernt haben.«
»Vielleicht mußte man in unserem Krieg Spione näher beschreiben und charakterisieren«, bemerkte ich, »weil sie nicht so gut zu unterscheiden waren, sie hatten es leichter, sich zu tarnen und zu verstecken. Bedenken Sie, daß wir alle dieselbe Sprache sprachen, das war hier, gegen die Nazis, nicht der Fall.«
Wheeler warf mir einen seiner Blicke aus flüchtigem Verdruß oder Asche zu – die mineralischen Augen, wie fast violette Murmeln oder Amethyste oder Chalcedone, oder sie waren Granatapfelkerne, wenn sie klein wurden –, die einem das Gefühl vermittelten, eine Dummheit von sich gegeben zu haben. In solchen Momenten war die Ähnlichkeit zwischen ihm und Toby Rylands am deutlichsten erkennbar.
»Ich versichere dir, die Mehrzahl derer, die als Spione im Land waren, konnten so gut Englisch wie du und ich. Oder, na ja, wahrscheinlich besser als du. Das waren Deutsche, die ihre Kindheit in England verbracht oder die einen englischen Vater oder eine englische Mutter hatten. Es waren auch reinrassige Engländer darunter, Abtrünnige, und etliche fanatische Iren. Ebenso verhielt es sich bei denen, die für uns in Deutschland oder in Österreich spionierten. Sie sprachen hervorragend Deutsch. Das meiner Frau Valerie war tadellos, ohne die Spur eines ausländischen Akzents. Nein, daran lag es nicht, Jacobo. Als ich dort war, in eurem Krieg, konnte ich spüren, wie es in der Luft lag. Ein alles erfassender Haß lag in der Luft, der beim kleinsten Funken explodierte und nicht bereit war, irgend etwas anderes zu berücksichtigen, irgendeine Nuance, ein zusätzliches Element. Ein Feind mochte ein guter Mensch sein und sich gegenüber seinen politischen Gegnern großzügig erwiesen oder Mitleid gezeigt haben, oder es mochte offensichtlich sein, daß es sich um einen harmlosen armen Teufel handelte, wie so viele Schullehrer, die von den Unmenschen der einen Seite an die Wand gestellt wurden, und nicht wenige einfache Nonnen auf der anderen Seite. Nichts davon zählte. Wer den Namen Feind trug, der war in
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