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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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zurückdachte, deren Gesicht ich sehr bald vergessen habe, nicht aber ihre Farben (gelb, blau, rosa, weiß, rot; und um den Hals trug sie ein Perlenkollier), begriff ich, daß nicht nur der Wunsch, ihn wiederzusehen, und die Ungeduld, seine Augen zu beobachten, wenn er sie mit Überraschung auf jene Plakate des careless talk in Spanien richtete, mich dazu veranlaßt hatten, in diesen Zug zu steigen und Wheeler ohne Aufschub zu besuchen, sondern auch das Bedürfnis, ihm zu erzählen, was mir widerfahren war, und ihn in gewisser Weise auch zur Rede zu stellen. Es ging mir nicht um das, was mir in Madrid widerfahren war, daran trug er nicht im entferntesten Schuld (und genau genommen war mir gar nichts widerfahren, sondern ich selbst hatte etwas getan). Aber sehr wohl um das, was mir mit Dearlove passiert war, schließlich hatte Peter mich in jene Gruppe eingeführt, der er in anderen Zeiten angehört hatte, und mich dort empfohlen; er hatte meine Begegnung mit Tupra arrangiert und mich einem kleinen Test unterzogen, der mir jetzt unschuldig und dämlich vorkam – perfekt, damit ich das Risiko nicht richtig einschätzen konnte –, und er hatte das Ergebnis weitergeleitet. Womöglich hatte er den Bericht über mich in der alten Kartei selbst geschrieben: ›Es ist, als würde er sich selbst nicht sehr genau kennen. Er denkt sich nicht, obwohl er es glaubt (aber er glaubt es auch nicht mit großer Überzeugung) … .‹ Jedenfalls war er es, der mir meine angeblichen Fähigkeiten offenbart und mich für jene Arbeit angeworben hatte, um den klassischen Ausdruck zu verwenden.
    In Oxford angekommen ging ich vom Bahnhof zum Hotel Randolph und rief ihn von dort aus an (jetzt, da ich wußte, daß Luisa ein Handy benutzte, würde ich vielleicht gut daran tun, mir auch eines zuzulegen, sie sind Überwachungsinstrumente, haben aber ihre praktischen Seiten). Frau Berry ging an den Apparat und hielt es nicht einmal für nötig, mich mit Peter zu verbinden. Sie werde ihn gleich fragen, aber sie sei sicher, daß mein Besuch ihn erfreuen werde. ›Er bittet Sie, unverzüglich zu kommen, Jack. Sobald Sie wollen‹, bestätigte sie nach wenigen Sekunden. ›Bleiben Sie denn zum Mittagessen? Na ja, der Herr Professor wird Sie vorher nicht gehen lassen.‹
    Als ich das Wohnzimmer betrat, bekam ich für einen Augenblick einen Schrecken – Panik wäre zu viel gesagt –, weil ich sah, daß Peters Gesicht ein wenig schärfer geworden war, so wie es bei denen der Fall ist, die der Tod bereits umlagert, noch ohne allzu große Eile, die Uhr noch nicht in der Hand, sondern nur in Sichtweite. Dieser Eindruck ließ bald nach, und ich ordnete ihn als falsch ein, aber das mochte auch an einer schnellen Gewöhnung liegen, wie sie auftritt, wenn man einen Freund sieht, der seit der letzten Begegnung stark zu- oder abgenommen hat oder gealtert ist, und dann muß man eine Art Perspektivkorrektur vornehmen, bis sich der neue Körperumfang oder das neue Alter auf unserer Netzhaut festsetzt und wir den Freund wieder voll und ganz erkennen. Er saß in seinem Sessel wie mein Vater in dem seinigen, die Füße auf einem pouf und die Sonntagszeitungen auf einem niedrigen Tischchen neben sich ausgebreitet. Sein Stock hing über der Rückenlehne. Er machte Miene, aufzustehen, um mich zu begrüßen, aber ich ließ ihn nicht. Von der Art zu urteilen, wie er in dem Sessel lag, kam es mir unwahrscheinlich vor, daß er sich jetzt so leicht auf die Treppe hätte setzen können, wie er es in der Nacht seines kalten Abendessens getan hatte, schon zu später Stunde. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie mit sanfter oder beherrschter Zuneigung, mehr wagte ich nicht, in England fassen sich die Leute kaum an. Er war tadellos gekleidet, mit Krawatte und Schnürschuhen und einer Strickjacke oder einem offenen Pullover, ich glaube, das war eine Gewohnheit seiner Generation, zumindest hatte ich meinen Vater auch so gesehen, der zu Hause stets gekleidet war, als würde er jeden Moment ausgehen. Ich konnte nicht länger warten. Ich nahm auf einem nahen Hocker Platz und holte nach vier Willkommens- und Begrüßungssätzen gleich das Paket aus meiner Tasche, das den Bürgerkrieg in zweitausend Plakaten enthielt, bei meiner nächsten Madridreise würde ich mir ein weiteres Exemplar besorgen müssen, es war ein fabelhaftes Buch, ich war überzeugt, daß Wheeler es sehr zu schätzen wissen würde, wie auch Frau Berry, die ich bat, bei uns zu bleiben und mit

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