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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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hineinzusehen. Sie zog es jedoch vor, das nicht zu tun (›Ich werde es mir bei anderer Gelegenheit in Ruhe ansehen. Danke, Jack‹). Und damit ließ sie uns unter dem Vorwand irgendwelcher Haushaltstätigkeiten allein, wobei sie im Laufe des Vormittags mehrmals ins Zimmer kam, hinein und hinaus, sie war stets in der Nähe, stets bei der Hand.
    »Sehen Sie, Peter«, sagte ich, indem ich den ersten Band aufklappte, »in dem Buch sind auch einige ausländische Plakate reproduziert, und ich habe mit gelben Zetteln markiert, wo ein Zusammenhang mit der unvorsichtigen Unterhaltung besteht, anscheinend waren diesbezügliche Warnungen vielerorts üblich. Die britische Kampagne wurde von den Amerikanern imitiert, als sie endlich in den Krieg eintraten, manchmal übrigens nicht ohne einen Hang zum Schwülstigen oder zur Effekthascherei.« Und ich zeigte ihm die Zeichnung eines Hündchens, das neben seinem toten Herrchen heulte, einem Seemann ›… weil jemand geredet hat!‹, oder, wie wir auf spanisch besser sagen würden, ›… weil jemandem die Zunge durchgegangen ist!‹; auf einer anderen war eine behaarte Hand mit Nazi-Orden und -Ring zu sehen, und darunter stand: ›Auszeichnung für unvorsichtige Unterhaltungen. Rede nicht über Truppenbewegungen, Schiffswege und Kriegsausrüstung‹; und eine dritte, vergleichsweise nüchterne, auf der ein Paar schlitzförmige und durchdringende Augen unter einem Wehrmachtshelm hervorlugten, besagte: ›Er hat dich im Auge‹. »Es gibt auch zwei britische Plakate, die Sie mir, glaube ich, nicht gezeigt haben, aber bestimmt erinnern Sie sich daran.« Damit zeigte ich ihm ein sehr sparsam formuliertes, auf dem lediglich stand: ›Reden tötet‹ oder ›Geschwätz tötet‹, und darunter sah man einen Seemann, der durch indirektes Verschulden einer Frau ertrank, oder vielleicht auch durch direktes; und ein weiteres mit der Unterschrift von Bruce Bairnsfather, das Old Bill, seinen berühmten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg darstellte, an der Seite seines Sohnes, der für den Zweiten einberufen worden war: ›Selbst die Wände …‹, war oben zu lesen, neben einem Hakenkreuz und einem riesigen Ohr; und darunter die Worte des jungen Mannes: ›Bis bald, Vater! Wir rücken nach … Verflixt, fast hätte ich’s gesagt!‹. Ich wies ihn auch noch auf ein französisches hin, mit dem Namenszug Paul Colins: ›Still! Der Feind lauert auf eure Vertraulichkeiten‹, sowie eines aus Finnland, allerdings in schwedischer Sprache, das die vollen roten Lippen einer Frau zeigte, die mit einem gewaltigen Vorhängeschloß verschlossen waren; der Text besagte offenbar so viel wie: ›Stärke unseren Kämpfern aus dem Hinterland den Rücken. Verbreite keine Gerüchte!‹; und ein russisches, auf dem sich die eine Gesichtshälfte der lauschenden Figur verfinstert hatte und überdies auf eben dieser linken Gesichtshälfte ein Monokel und ein Schnurrbart zu sehen waren, darunter eine Schulterklappe (ein rundum finsteres Aussehen). »Und hier die aus Spanien«, fügte ich hinzu und blätterte hauptsächlich im zweiten Band danach, auch wenn sie in beiden vorkamen. »Sehen Sie nur, diese Plakate sind zwangsläufig älteren Datums als die britischen und die anderen.«

    Wheeler sah sie sich eingehend und mit unzweifelhafter Faszination an; nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, sagte er:
    »Sie sind anders. Da ist mehr Haß.«
    »Bei den spanischen?«
    »Ja, schau dir die unseren mal genau an, und auch die aus anderen Ländern, dort wird vor allem vor der Gefahr gewarnt und zum Schweigen aufgefordert, dazu, höchste Diskretion und Vorsicht walten zu lassen, aber man verteufelt keinen verborgenen Feind und betont auch nicht die Notwendigkeit, ihn aufzuspüren, zu verfolgen und zu zerstören, das ist schon auffällig. Der Feind wird kaum geschmäht. Vielleicht weil uns bewußt war, daß wir mit ihm dasselbe machten, wenn wir konnten, in Deutschland und im besetzten Europa. Und daß bei einem Krieg zu erwarten ist (und deshalb besteht weniger Grund zu Vorwürfen, von Propaganda einmal abgesehen), daß jede Seite alles tut, was in ihrer Macht steht, um zu siegen, ohne Einschränkungen oder nur mit denjenigen, die die öffentliche Meinung verlangt. Was natürlich nicht bedeutet, daß die Grenzen, die man offiziell nie zu überschreiten versichert, auch wirklich respektiert werden, nein, man übertritt sie verstohlen, insgeheim, man gibt es nicht zu oder streitet es gegebenenfalls sogar ab. Schau dir dagegen

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