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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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barmherzig sind. ›Da willst du zuviel wissen, Jacobo‹, hatte er auf meine direkte Frage geantwortet. ›Zumindest für heute nacht. Ein andermal, wir werden schon sehen.‹ Vielleicht war dieses andere Mal gekommen.
    »Was haben Sie im Spanischen Krieg gemacht, Peter?« fragte ich ihn ohne weitere Umschweife. »Wie lange waren Sie dort? Nicht lange, nehme ich an. Neulich deuteten Sie an, Sie seien nur kurz dort gewesen. Mit wem waren Sie dort? Und wo?«
    Wheeler lächelte amüsiert, wie in jener Nacht, als er mit meiner frisch geweckten Neugier gespielt und Bemerkungen gemacht hatte wie: ›Wenn du mich einmal danach gefragt hättest … Du hast nie das geringste Interesse dafür gezeigt. Du hast keine Neugier für meine Abenteuer auf der Halbinsel gehabt. Du hättest andere, frühere Gelegenheiten nutzen sollen, siehst du? Man muß die Dinge rechtzeitig denken oder antizipieren.‹ Er legte die Hand an die Rückenlehne seines Sessels und tastete ohne Erfolg. Er suchte seinen Stock, bekam ihn aber nicht zu fassen, ohne sich umzudrehen. Ich stand auf, nahm den Stock und reichte ihn Wheeler in dem Glauben, er wolle sich mit seiner Hilfe erheben. Doch er legte ihn sich nur quer über den Schoß oder stützte, besser gesagt, die Enden auf die Armlehnen und packte den Stock dann mit beiden Händen, als wäre er ein Stabhochsprungstab oder ein Speer.
    »Nun ja, ich bin zweimal dort gewesen, aber beide Male nur kurz«, antwortete er zunächst sehr langsam, als sei er nicht ganz entschlossen, die Information, die Worte preiszugeben; als nötigte er seine Zunge, der endgültigen Entscheidung vorzugreifen, seiner noch nicht ganz getroffenen Entscheidung, mir davon zu erzählen: Er mochte das zwar wünschen, aber er war, wie er mir mit einer gewissen Scham anvertraut hatte, noch nicht dazu befugt. »Das erste Mal war im März 1937 . In Gesellschaft von Dr. Hewlett Johnson, dessen Name dir nichts sagen dürfte. Seinen Beinamen wirst du vielleicht gehört haben, den von damals und später: ›der Rote Dekan‹.« Wir sprachen auf englisch, ›the Red Dean‹ war der Ausdruck. Natürlich sagte mir das etwas, natürlich hatte ich von ihm gehört. Tatsächlich konnte ich es kaum fassen. »Der Bandit-Dekan von Canterbury!« rief ich auf spanisch. »Den haben Sie wirklich gekannt?« »I beg your pardon?« fragte Wheeler, kurzzeitig aus dem Konzept gebracht durch den Einbruch meiner Sprache und die merkwürdige Bezeichnung. »Mein Vater wurde kurz nach Kriegsende verhaftet, Sie erinnern sich vielleicht, ich habe Ihnen irgendwann davon erzählt. Und er wurde mehrerer falscher Vergehen angeklagt, darunter, so habe ich es ihn viele Male formulieren hören, er sei ›in Spanien der freiwillige Begleiter des Banditen Dekan von Canterbury‹ gewesen, wie finden Sie das? Durch das indirekte und selbstverständlich unbewußte und unfreiwillige Verschulden dieses seltsamen Kirchenmannes wäre ich beinahe nicht geboren, Peter, und auch keines von meinen Geschwistern. Ich will sagen, es hätte leicht dazu kommen können, daß man meinen Vater kurzerhand verurteilt und erschossen hätte, Sie wissen ja: Er wurde im Mai 1939 abgeholt, nur anderthalb Monate nachdem Francos Truppen in Madrid einmarschiert waren, und in jenen Tagen brauchten Denunzianten, selbst wenn sie nur Privatleute waren, die Schuld eines Angeklagten nicht zu beweisen, vielmehr mußte dieser seine Unschuld belegen, und wie hätte mein Vater nachweisen sollen, daß er jenen cantuariensischen Dekan nie im Leben gesehen hatte« – ich verwendete nicht dieses merkwürdige Wort, sondern das englische ›Canterburian‹ –, »und dasselbe gilt für die Falschheit der anderen Anschuldigungen, die noch viel gravierender waren. Er hatte immens Glück und wurde nach wenigen Monaten Gefängnis freigesprochen, wobei er dann jahrelangen Repressalien ausgesetzt war. Aber stellen Sie sich vor …«
    »Das ist ein bemerkenswerter Zufall«, fiel Wheeler mir ins Wort. ›That’s a striking coincidence‹, sagte er. »Wirklich bemerkenswert. Aber laß mich weitererzählen, sonst verliere ich den Faden.« Es war, als fände er derartige Zufälle überhaupt nicht wichtig und hielte sie für das Normalste von der Welt, so wie Pérez Nuix und ich es taten. Oder er hatte, dachte ich, schon vor Zeiten sein nächstes Treffen mit mir ausgearbeitet, während er wartete, daß es dazu kam, daß ich mich dazu herbeiließ, ihn zu besuchen, und hatte genau kalkuliert, was er mir erzählen wollte, welche

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