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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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erster Linie das, ein Feind; man konnte ihm nicht das Leben schenken oder irgendwelche mildernden Umstände für ihn sprechen lassen, es war, als sähe man keinen Unterschied zwischen einem, der getötet oder denunziert hatte, und einem, der lediglich bestimmten Überzeugungen oder Ideen oder auch nur Vorlieben gefolgt war, verstehst du, was ich meine? Na, du kennst das ja von deinem Vater. Uns Ausländer versuchte man mit diesem Haß anzustecken, aber wir konnten ihn natürlich nicht teilen, nicht in diesem Maß. Eine seltsame Sache war das, euer Krieg, ich glaube nicht, daß es je etwas Vergleichbares gegeben hat. Nicht einmal andere Bürgerkriege an anderen Orten. Das Leben in Spanien war damals von einer übermäßigen Nähe bestimmt, jetzt wird das wohl nicht mehr so sein.« ›Doch‹, dachte ich, ›bis zu einem gewissen Punkt schon.‹ »Die Städte waren nicht groß, und alle hielten sich ständig draußen auf, in den Cafés und in den Bars. Es war unmöglich, dieser, wie soll ich es sagen, epidermischen Nähe auszuweichen, das ist es, was Zuneigung schafft, aber auch Groll und Haß. Für unsere Bevölkerung hingegen waren die Deutschen ein fernes, fast abstraktes Volk.«
    Mir war nicht entgangen, wie er seine Frau erwähnt hatte, Val oder Valerie. Aber noch schien mir interessanter, daß er erstmals offen auf seinen Aufenthalt im Spanien des Bürgerkriegs zu sprechen kam, es war noch nicht lange her, daß ich überhaupt von seiner Teilnahme daran erfahren hatte, vorher hatte er mir nie davon erzählt. Ich musterte sein scharf gezeichnetes Gesicht – ›Ja, seine Züge sind schärfer geworden, und sein Blick gleicht dem meines Vaters‹, dachte ich oder gestand es mir schließlich bedauernd ein: ›dieser unergründliche Blick‹ –, und mir ging durch den Sinn, daß er womöglich wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, und wenn man das weiß, muß man endgültige Entscheidungen hinsichtlich der Episoden und Tatsachen treffen, die für immer verborgen bleiben werden, wenn man sie niemandem erzählt. (›Es ist ja nicht nur so, daß man alt wird und verschwindet‹, hatte der arme und verurteilte Dearlove in Edinburgh gesagt, ›es verschwinden ja auch mit der Zeit alle, die von mir erzählen können, die mich gesehen und gehört haben und die mit mir geschlafen haben, so jung sie in dem Augenblick auch waren, sie werden alt und dick und sterben, als läge auf ihnen allen ein Fluch‹; und wer ist frei von diesem Gedanken.) Es ist zwangsläufig ein heikler Moment: Man muß nun unweigerlich trennen zwischen Dingen, bei denen man will, daß sie für immer unbekannt bleiben – daß sie nicht zählen, daß sie nicht bekanntwerden, daß sie ausgelöscht werden, daß sie nicht existieren – und Dingen, bei denen es einem vielleicht lieber ist, daß sie eines Tages entdeckt und wiedergewonnen werden können, damit das Geschehene jemandem zuflüstert: ›Ich bin gewesen‹, und wir anderen nicht sagen: ›Nein, das ist nicht gewesen, das gab es nie, das hat nie die Welt durchschritten noch einen Fuß auf die Erde gesetzt, es hat nicht existiert und ist nie geschehen‹. (Oder nicht einmal das, denn um es abzustreiten, muß man Zeuge gewesen sein.) Wer voll und ganz schweigt, verhindert damit die künftige Neugier anderer und damit auch ferne, künftige Nachforschungen. Wheeler mußte sich schließlich gemerkt haben, daß ich ihn in der Nacht nach seinem kalten Abendessen gefragt hatte, wie er in Spanien zu heißen geruht habe, und daß ich den Namen, hätte er ihn mir offenbart, unverzüglich in den Namensregistern sämtlicher zur Verfügung stehenden Bücher nachgeschlagen hätte, in seiner Bibliothek über den Krieg, im Westregal, und später auch noch in anderen. Tatsächlich war er es gewesen, der mich auf die Idee gebracht hatte, ich war nicht darauf gekommen: vielleicht nur aus angeborener Eitelkeit, aus Stolz, oder vielleicht auch in absichtsvollerer Weise, damit ich mich, nachdem er mir dies eingegeben hatte, nicht mehr zufriedengäbe und jene Beute nicht mehr losließe, er wußte gut, daß ich sie in der Regel nicht losließ, so wie er selbst und wie Tupra. Möglicherweise war er jetzt bereit, mir einige Informationen zu geben und meine Phantasie zu nähren, bevor es zu spät war und er nichts mehr nähren oder lenken oder in seine Machenschaften einbeziehen oder inszenieren oder gestalten konnte. Bevor er vollends in die Gewalt der Lebenden geriet, die gegenüber den jüngsten Toten fast nie

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