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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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sich vorstellen, wir kannten uns noch gar nicht. Ja, Maria Mauthner hatte es einer Freundin erzählt, die einige Jahre später zur Feindin werden sollte. Es war natürlich nichts Persönliches, sondern … wie müßte man das ausdrücken, etwas Nationales, Politisches, Patriotisches? Ich weiß nicht, was für eine Art von Feindschaft im Krieg herrscht. Man haßt völlig unbekannte Menschen und alte Freunde, man haßt umfassend, ein ganzes Land oder auch mehrere. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, ist das schon sehr seltsam. Es hat nicht den geringsten Sinn, und es ist eine große Verschwendung. Maria hatte ihr davon nicht nur erzählt, sondern sie hielt sie in den kommenden Jahren per Brief auf dem laufenden. Sie waren von Kindheit an befreundet, sie hatten Vertrauen zueinander, sie tauschten sich unbefangen aus, erzählten einander alles mögliche. Valerie erfuhr, daß aus Ilses Ehe drei Kinder hervorgegangen waren, ein Junge und zwei Mädchen, den Erstgeborenen hat sie bei ihrem letzten Besuch in Melk 1934 oder 35 sogar kennengelernt, er war gerade auf die Welt gekommen. Sie erfuhr auch, daß Rendl, den sie bei ihren sommerlichen Zusammentreffen immer für einen Idioten gehalten hatte, eine Art Vorfanatiker, bei der SS rasch aufstieg; und als die beiden jungen Frauen 1939 aufhörten, einander zu schreiben, war ihr bekannt, daß er es bei einer SS -Kavalleriedivision zum Major oder Hauptmann gebracht hatte. Eine dieser Divisionen, die 33 ., sollte übrigens traurigen (für uns erfreulichen) Ruhm ernten, als sie 1945 in der Schlacht um Budapest aufgerieben wurde, ich weiß nicht, ob er zu dieser gehört hat. Das spielt aber ohnehin keine Rolle, denn zu dem Zeitpunkt war Rendl weder bei der Kavallerie noch bei der SS , sondern möglicherweise in einem Konzentrationslager, in einem Massengrab, falls sie ihn nicht eingeäschert hatten.«
    »Was war passiert?« fragte ich, damit er durch seine Kriegserinnerungen nicht den Faden verlor.
    Wheeler trank seinen Sherry aus und äußerte sich unschlüssig, ob er noch einen zweiten nehmen sollte. Ich bestärkte ihn darin, stand auf, um ihm den Drink einzuschenken, er wandte den Blick zur Tür, wo Frau Berry immer wieder den Kopf hereinsteckte, doch da hörten wir, wie sie oben im ersten Stock begann, Klavier zu spielen, in dem leeren Zimmer, in dem man nichts anderes tun konnte als sich an das Instrument zu setzen: Vielleicht war das ihre gewohnte Übungszeit, immer vor dem Mittagessen, zumindest an aus der Unendlichkeit verbannten Sonntagen. Wheeler zeigte mit dem Finger zur Decke und anschließend auf die Flasche.
    »Du weißt es schon, nicht wahr, Jacobo? Es ist das passiert, was du dir vorstellst. Valerie hat mir später erzählt, daß sie Zweifel hatte und mich gerne nach meiner Meinung gefragt hätte. Aber ich war weit weg, fast immer weit weg, und die Gesprächsverbindungen waren schwierig und kurz, uns blieb keine Zeit für solche Anliegen. Als sie Jefferys von der Sache erzählte, hatte sie seit drei oder vier Jahren keinen Kontakt mehr zu Maria gehabt, sie wußte nicht einmal, ob sie noch am Leben war. Und außerdem scheint in der Vergangenheit alles weniger intensiv, alles verschwimmt, und Freundschaften aus der Kindheit werden am schnellsten blaß, hauptsächlich weil die Kinder aufhören, welche zu sein, und sich verändern, sie streifen ihre Kindheit ab und verleugnen sie, bis sie in weite Ferne gerückt ist, und erst dann vermissen sie sie. Jefferys appellierte an den Erfindungsgeist und an ein entferntes, indirektes, unwahrscheinliches Heldentum seiner schwarzen Spieler, derer, die Bescheid wußten, und derer, die sich für weiße Spieler hielten« – sein Ausdruck war natürlich ›black gamblers‹ –, »er sagte zu ihnen: ›Jede Kleinigkeit, auch wenn sie noch so unbedeutend sein und euch dumm vorkommen mag, behaltet sie nicht für euch, bringt sie vor: Denn sie kann von vitaler Bedeutung sein, sie kann dazu beitragen, das Leben von Engländern zu retten und diesen Krieg zu gewinnen.‹ Er wollte ständig Aktivität, Initiativen, Umtriebe, Erfindungsreichtum und noch mehr Ideen, und Valerie gab ihm die ihre oder er entwickelte eine aus dem, was sie ihm sagte: ›Hartmut Rendl, SS -Offizier zumindest im Rang eines Majors oder Hauptmanns, wenn er in den letzten Jahren nicht befördert wurde, ist durch eine jüdische Großmutter »Mischling«, und außerdem hat er Dokumente gefälscht oder zerstört, damit diese Informationen nirgends verzeichnet blieben

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