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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Tag noch Truppen befehligte und am nächsten in einem Lager darbte, ob er ganz in Ungnade fiel. Vieles hing vom Zufall ab oder davon, ob man die Freundschaft oder Gunst irgendeiner führenden Persönlichkeit besaß. Für Feldmarschall Milch zum Beispiel, der ›Halbjude‹ war, legte sein Freund Göring ein falsches Beweisstück vor (es wurde eigens für ihn hergestellt). Es sollte belegen, daß er in Wirklichkeit nicht Sohn seines offiziellen Vaters, eines ›Volljuden‹, sei, sondern des ›arischen‹ Liebhabers seiner Mutter; man weiß nicht, was diese, sofern sie noch am Leben war, von dieser außerordentlichen Enthüllung gehalten hat, ob sie diesen Liebhaber nun hatte oder nicht. Milch wurde also als ›Arier‹ eingestuft und erhielt für seinen Einsatz in Norwegen das Ritterkreuz. Da hast du’s, ein Segen, im Deutschland jener Jahre ein uneheliches Kind zu sein.« Erneut lachte Wheeler kurz auf, ein spöttisches Lachen, das mich an das so charakteristische seines Bruders Toby erinnerte. »Wie kamen wir jetzt darauf, Jacobo? Tut mir leid, daß mein Gedächtnis diese Aussetzer hat, das betrifft nur das Kurzzeitgedächtnis. Dazu noch die Momente von Aphasie, bald werde ich gar nichts mehr erzählen können.«
    ›Er hat noch nicht so stark abgebaut, daß er es nicht merken würde‹, dachte ich, ›immerhin. Aber vor einem Jahr oder noch vor wenigen Monaten hätte er diese Ausfälle nicht gehabt. Es sieht aus, als ob er und mein Vater im selben Rhythmus voranschreiten würden, im selben Tempo, wobei Peter in besserer Verfassung ist. Obwohl er ein Jahr älter ist, wird er vermutlich etwas länger leben. Wie schade es um die beiden sein wird, wenn sie nicht mehr hier sind. Wie schade.‹
    »Es ging immer noch um Ihre Frau«, antwortete ich. »Sie werden es genauer wissen. Es hatte mit ihrem Tod zu tun. Glaube ich jedenfalls.«
    »Oh ja«, erwiderte er, »allerdings hat es damit zu tun, sehr sogar. Ja. Ja.« Und indem er dieses Wort wiederholte, schien er den Faden wieder aufzunehmen. »In der schwarzen Abteilung des PWE gab es, wie gesagt, Leute, die nicht einmal wußten, daß sie für besagte Abteilung arbeiteten oder daß es sie überhaupt gab. Valerie hatte gewiß keine Ahnung. Aber es gab einen Typen, der sicher sehr wohl Bescheid wußte, er zeigte sich nur hin und wieder in Woburn oder Milton Bryant, mit einer Unmenge von Ideen und augenscheinlicher Autonomie sogar Delmer gegenüber. Er hieß Jefferys, fast sicher ein Deckname, und sein Geist war diabolisch, das berichtete mir jedenfalls Valerie, wenn ich aus Jamaika kam oder von der Goldküste oder aus Ceylon, wo auch immer ich gerade stationiert war, und wir uns zwei Wochen oder einige Tage lang sahen. Dieser Jefferys hatte den Auftrag, sich allerlei Störmanöver auszudenken, Probleme, die noch so zweitrangig oder unsinnig sein mochten, die die Deutschen aber nötigen würden, ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten und sich um Lösungen zu bemühen. Und er trieb auch die anderen Mitarbeiter an, darin war er offenbar einzigartig.«
    »Sollte er Choleraerreger verbreiten?« Ich konnte nicht umhin, ihn darauf anzusprechen. Aber er bezog es nicht auf sich, möglicherweise erinnerte er sich nicht mehr daran, wie er das gesagt hatte.
    »Genau. Oder auch nur Windpocken. Wir alle waren der Überzeugung, in sämtlichen Abteilungen, Sektionen, Einheiten und Gruppen, beim SIS insgesamt, beim SOE , beim PWE , beim OIC und beim NID , beim PWB und natürlich auch beim SHAEF , daß jedwede Unannehmlichkeit, die sie vom Wesentlichen ablenkte, sie von kriegerischen Aufgaben fernhielt, sie dazu brachte, diese zu vernachlässigen, oder sie dabei behinderte, daß alles, was ihrer Effizienz auch nur den geringsten Abbruch tat, uns enorm begünstigte und uns half, Zeit zu gewinnen, solange wir noch darauf warteten, daß die Amerikaner (wie schwerfällig und zögerlich sie gewesen sind; und dann noch damit angeben) sich entschlossen, in den Krieg einzutreten. Es ging darum, die größtmögliche Anzahl von Menschen mit lästigen oder gefährlich aussehenden Kleinigkeiten beschäftigt zu halten. Sooft die Nazis auch nur einen Gefreiten oder ein Gestapo-Mitglied für eine unvorhergesehene und dem Krieg fremde Aufgabe abstellen mußten, lohnte sich der Aufwand für uns und wir verschafften uns einen Vorteil, oder so empfanden wir es: aus unserer absoluten Verzweiflung heraus bis zum Dezember 1941 , über zwei Jahre, in denen wir alleine Widerstand leisteten. Besagter Jefferys kam,

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