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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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und er der SS beitreten konnte, der rassenreinsten Organisation des Reichs, von der zugleich auch die meisten Greueltaten verübt werden.‹ Rendl war ein SS -Mitglied, ein Krimineller und ein Idiot, da brauchte man keine Vorbehalte oder Skrupel zu haben. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, in welche Erregung eine derartige Information Jefferys versetzte und auch Delmer persönlich, falls er davon erfahren hat. Sie konnten die Maschinerie gar nicht schnell genug in Gang setzen: Nicht nur sorgten sie dafür, daß die Information über Rendl der SS -Führung zu Ohren kam und nach Möglichkeit ihrem Chef, dem jähzornigen und säuberungsfreudigen Himmler, sie erschlossen hier auch eine neue Front für die schwarze Propaganda. Bald wurden falsche Geburtsurkunden und standesamtliche Einträge erstellt, die Wehrmachtsoffiziere, leitende Regierungsmitglieder und sogar hohe Funktionsträger der NSDAP als ›Juden‹, ›Halbjuden‹ oder ›Mischlinge ersten Grades‹ entlarven sollten. Nicht allzu viele, versteht sich, man durfte die ›Plage‹ nicht übertreiben, aber indem man die Denunziationen zeitlich streute, kamen doch einige zusammen, die einen glaubwürdiger als die anderen, oder fundierter. Es handelte sich um keine einfache Aufgabe, aber in Sachen Fälschung war das PWE überragend: Dank einem Sammler verfügte man dort über deutsche Drucktypen und Formen aus dem 17 . bis 20 . Jahrhundert (oder Matrizen oder wie das heißt, ich verstehe nichts vom Druckwesen), in sogenannter Fraktur, also in gotischen Lettern. Und auch wenn die Täuschung früher oder später aufflog (was nicht immer der Fall war), solange die Nazis allerlei Nachforschungen anstellen mußten und jede Akte, auf die ein plötzlicher Verdacht fiel, überprüften … Tja, es lohnte sich, sie dazu zu nötigen, sich mit einem derartigen Blödsinn zu beschäftigen, der mit dem Krieg überhaupt nichts zu tun hatte, sie ihre Zeit mit dem Durchsuchen alter Rathaus- und Kirchenarchive verschwenden zu lassen (im 19 . Jahrhundert waren viele deutsche und österreichische Juden zum Christentum, vor allem zum Katholizismus konvertiert) und Mißtrauen gegenüber ihren eigenen Leuten zu säen, ich habe dir ja schon gesagt, daß eine von Delmers Prioritäten darin bestand, die Deutschen gegeneinander aufzuhetzen. Und wenn gar etwas hängenblieb und dies dazu führte, daß ein Oberst oder ein General oder ein Admiral oder Parteibonze abgesetzt wurde oder in Ungnade fiel! Damit ersparten sie uns Arbeit, und in ihren Reihen verursachte es Panik und Demoralisierung. Der Gedanke, daß es in ihren handverlesenen Organisationen Verräter geben oder daß die Wehrmacht von ›Ratten‹ durchsetzt sein könnte und daß zudem keiner vor ›Überprüfungen‹ sicher war, unabhängig von seiner Loyalität und seinen Verdiensten, bedeutete für sie einen Tiefschlag, so unsinnig uns das Ganze heute erscheinen mag. Es war kein besonders sauberer Schachzug. Er war jedenfalls in mehr als einer Hinsicht schwarz, man machte sich dabei ja den grausamsten und abstoßendsten Zug des ›Dritten Reichs‹ zunutze, man schlachtete ihn aus und förderte im Grunde die Verfolgung weiterer Juden, ob wahr oder nur vorgestellt. Doch in jedem Fall handelte es sich um sehr spezielle Juden, bei denen, die wirklich welche waren, ob ›halb‹ oder ›viertel‹. Das waren keine armen Unschuldigen: In erster Linie waren sie überzeugte und aktive Nazis, die gegen uns kämpften oder Jagd auf ›Volljuden‹ machten oder beides, und so ließ sich niemand in Milton Bryant wegen der möglichen Verwerflichkeit dieser Taktik graue Haare wachsen, die auf falschen Anschuldigungen gründete oder noch schlimmer, auf solchen, die zutrafen, wie bei Rendl. Unter den gegebenen Umständen war es normal, daß das niemandem den Schlaf raubte. Dennoch hat Delmer dieses Vorgehen in seiner Autobiographie, soweit ich mich erinnern kann, lieber unerwähnt gelassen. Auch mir hätte es nicht den Schlaf geraubt, wie so viele andere Dinge auch nicht, die ich zu tun hatte und getan habe. Einige von denen, die ich gesehen habe, ja, das ist etwas anderes, es ist einfacher, die Bürde der eigenen Handlungen zu tragen.« Er legte eine kurze Pause ein, als wollte er einen Abschnitt beenden oder, besser, zu einem längeren Einschub ansetzen, und ließ den Blick nach draußen schweifen, zum Fluß hin. »Ein einziges Mal habe ich einen Befehl mißachtet, auf einer Überfahrt von Colombo nach Singapur. Damals stand ich bereits

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