Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
dafür. Es waren Zeiten der Wahrheit, nicht der Lüge und des Spektakels. Jefferys brachte während seiner Aufenthalte in Woburn, ich meine in Milton Bryant, Motivation und Ansporn, und Valerie hatte den Wunsch, zu helfen, so gut sie konnte, sie wollte so viel beitragen wie möglich. Sie gab sich große Mühe. Also. Die ältere Schwester ihrer österreichischen Freundin, die etwa zehn Jahre älter war als die beiden, Ilse hieß sie, hatte einen Verlobten, er war auch immer wieder da gewesen, als Valerie noch nach Melk zu den Mauthners fuhr und ihre Sommer dort verbrachte. Dieser Verlobte war schon damals ein überzeugter Nazi, wir sprechen hier von dem Zeitraum zwischen 1929 oder 30 und 1934 oder 35 , in dem Jahr hörte Valerie auf, dorthin zu fahren, und ihre Freundin, sie ihrerseits an Weihnachten zu besuchen, sie war damals vierzehn oder fünfzehn. Die ältere Schwester und ihr Verlobter hatten 1932 oder 33 endlich geheiratet und waren nach Deutschland gezogen, und die jüngere Schwester, Maria, mit der Valerie den Rest des Jahres in Briefkontakt stand, was sie bis kurz vor dem Krieg fortführen sollte, hatte ihr von den Sorgen berichtet, die diese Ehe der Familie naheliegenderweise machte. Im Grunde hatten die Mauthners gehofft, daß es nie dazu kommen, daß Ilse und ihr Verlobter vorher auseinandergehen würden, wie es bei Paaren, die sehr jung angefangen haben, häufig geschieht. Der Mann, sein Nachname war Rendl …«
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn unterbrechen.
»Rendel? R, e, n, d, e, l ?« Ich buchstabierte es ihm gleich.
»Nein. In Österreich schrieb er sich noch ohne das zweite ›e‹, antwortete er. »Aber ja, der Rendel, den du kennst und der für Tupra tätig ist, ist ihr Enkel, der Enkel der älteren Schwester und ihres Mannes. Na ja, ich hatte selbst keinen Umgang mit ihm, und mit seinem Vater auch kaum. Den Vater, Ilses Sohn, habe ich lediglich finanziell unterstützt und ihm geholfen, damit er seinerzeit nach England kommen konnte, er war noch ein Kind; später habe ich es vorgezogen, keinen Kontakt zu ihm zu haben. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder laß uns jedenfalls nichts vorwegnehmen. Der Ehemann, Rendl, hatte eine jüdische Großmutter, und das war der Familie seiner Frau bekannt, die Großmutter war noch vor seiner Geburt gestorben, er war also ›Vierteljude‹, ein ›Mischling zweiten Grades‹. Diesen geschah, wie gesagt, zumeist gar nichts, man schlug sie der ›deutschen‹ Seite zu und assimilierte sie, wobei sie theoretisch keinen Zugang zu bedeutenden Posten erhalten konnten. Doch weder Mauthner senior noch der Mutter noch auch den anderen Schwestern gefiel dieses Viertel seiner Herkunft. Nicht weil sie Nazis gewesen wären, anscheinend waren sie eher apolitisch, das heißt, Mitläufer, die vermutlich auf lange Sicht immer mehr vom Nationalsozialismus beeinflußt wurden, sondern wegen der Befürchtungen, die jegliche ›Verunreinigung‹ in jenen Tagen auslöste. Du mußt bedenken, daß die Nürnberger Gesetze 1935 erlassen wurden, aber im wesentlichen eine Vielzahl von Maßnahmen zusammenfaßten, die schon vorher in offiziöser Weise gegen die Juden ergriffen worden waren (die Wurzeln reichten weit in die Vergangenheit), und dem Status quo einen offiziellen und legalen Charakter verliehen: der gesellschaftlichen Ächtung und Diskriminierung, der die Juden ausgesetzt waren. Dennoch hätte Rendl damit mehr oder weniger in Ruhe leben können, wenn er nicht so ein eingefleischter Nazi gewesen wäre. Er wollte in die SS eintreten, und kurz nach der Hochzeit gelang ihm das auch. Aber zu dem Zweck mußte er erst einmal die jüdische Großmutter verschwinden lassen, ich nehme an, indem er einem Beamten an ihrem Geburtsort eine hohe Summe zahlte, wie so viele andere vor und nach ihm. Und als Folge dieser Verheimlichung oder Fälschung, dieses Betrugs, wurde aus dem ›Makel‹ ein Geheimnis, das man eifersüchtig hüten mußte, was er den Mauthner-Schwestern auch mitteilte, nachdem die ›Bereinigung‹ des Archiveintrags erfolgt war. Doch für eine von ihnen kam das zu spät.«
»Sie hatte es Valerie erzählt. Ich meine, Ihrer Frau, Peter«, korrigierte ich mich sofort.
Wheeler bemerkte meine Scheu. Noch immer entging ihm kaum etwas.
»Keine Sorge, du darfst sie ruhig Valerie nennen. Und sie war damals noch nicht meine Frau. Damals hieß sie Valerie Harwood und hätte sich fast nichts von dem vorstellen können, was noch kommen sollte. Nicht einmal mich konnte sie
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