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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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davon aus, daß auch die älteste, Ilse, nicht mehr lebte, die mit ihren beiden kleinen Töchtern verschwunden war. Von den Rendls war nur noch der Junge am Leben, sie hatte ihn bei sich aufgenommen und wollte ihn jetzt nach England schicken, auch dafür bat sie um Valeries Hilfe, soweit das möglich sei: Dem Jungen sei es sehr schlecht ergangen, in Österreich erwarte ihn eine überaus düstere, elende Zukunft, und sie, Maria, könne kaum für ihren eigenen Unterhalt aufkommen. Das Schlimmste aber war …« Wheeler versagte die Stimme, und er schwankte für einen Moment; doch dann erholte er sich wieder. »Das Schlimmste war, daß sie ihr berichtete, was geschehen war: ›Ich weiß nicht, wie‹, schrieb sie, und dieser Satz hat Valerie von dem Tag, an dem sie ihn las, bis zu ihrem Tod gequält, er hat sie zugrundegerichtet: ›Ich weiß nicht wie‹, schrieb Maria, ›aber die SS hatte herausgefunden, daß Rendl eine jüdische Großmutter hatte und daß er Bestechungsgelder gezahlt hatte, um sie aus den Melderegistern zu löschen. Aber die fraglichen Dokumente waren nicht zerstört, sondern nur unterschlagen und durch gefälschte ersetzt worden; sie kamen ans Licht, und man stellte fest, daß die Anschuldigungen zutrafen. Bei der SS war man in Sachen Rassenreinheit rigoros‹, erklärte Maria in der Annahme, daß Valerie darüber nicht informiert sein mußte, und anscheinend war der Fall Himmler höchstpersönlich zu Ohren gekommen, der angesichts des Betrugs einen Wutausbruch bekam und beschloß, ein Exempel zu statuieren, hauptsächlich, damit andere SS -Offiziere, die in derselben oder einer ähnlichen Lage waren wie Rendl, von sich aus ein Geständnis ablegten; ihnen versprach er, sie in dem Fall wohlwollender zu behandeln als ihren betrügerischen Kameraden oder nicht ganz so streng. Ich habe später gehört, diese Entdeckung, verbunden mit den nach Heydrichs Tod kursierenden Gerüchten, daß sogar er ein ›Halbjude‹ gewesen sei« – ›Heydrich‹, dachte ich, ›der langsam und unter großen Schmerzen starb, wegen der vergifteten, imprägnierten Kugeln‹ –, »habe Himmler argwöhnen lassen, seine so reine Organisation sei seit Erlaß der Nürnberger Gesetze in Wirklichkeit zu einem Zufluchtsort für Mischlinge und sogar ›Halbjuden‹ geworden, er folgte da einem Gedankengang, der für ein so krankes Hirn wie das seine durchaus charakteristisch war: Könnte es ein besseres Versteck für die Beute geben, als sich als Jäger zu tarnen? Oder vielleicht war es doch nicht so krank, wenn man an das von Delmer oder vor allem an das von Jefferys denkt, die zu den vertracktesten Plänen und Machenschaften imstande waren. Oder an meines, keine Ahnung, wir alle hatten Kriegshirne, im Krieg bleibt nicht ein einziges gesund und manche erholen sich nie wieder. Aber zurück zu dem Brief: Maria hatte in Erfahrung bringen können, daß man Rendl, und das war die Strafe, aus der alle lernen sollten, in ein Konzentrationslager deportiert hatte, und das, obwohl er nicht mehr als ein ›Vierteljude‹ war. Dann stand eines Tages die Gestapo vor der Tür, in München, wo seine Familie inzwischen lebte, und nahm die Mädchen mit. Den Jungen nicht, weil er nicht da war, er hielt sich zu dem Zeitpunkt bei seinen Großeltern in Melk auf, und nachdem dann der erste Zorn verraucht war, trieb man keinen allzu großen Aufwand, um ihn zu suchen. Als Ilse entsetzt fragte, was das alles solle, antwortete man ihr nur, die Mädchen seien Jüdinnen, gegen sie dagegen liege nichts vor; wenn sie sie begleiten wolle, so sei das ihre Sache. Korrekterweise waren die Mädchen nur ›Achteljüdinnen‹ und hätten unter normalen Umständen in jeder Hinsicht als ›Deutsche‹ gegolten. Doch das war die Repressalie, das war die Vergeltungsmaßnahme: Die Nachkommen des Betrügers, der die Nazis gefoppt hatte, wurden zu ›Volljuden‹ erklärt. Schließlich galt, was Göring gesagt hatte oder Goebbels oder vielleicht war es auch Himmler selbst: ›Wer Jude ist, bestimme ich.‹ Natürlich wurde nichts von alledem öffentlich bekannt, es hätte einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen; man informierte lediglich die Offiziere der SS , daß sie sich künftig in acht nehmen sollten, und deshalb drang zum PWE so gut wie nichts durch. Die SS war sehr auf Geheimhaltung und kindische Rituale bedacht.« Er sagte ›secrecy‹, nicht ›secret‹; heute würden einige von ›Intransparenz‹ sprechen. »Nach Aussage der Nachbarn, die der Szene

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