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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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solche die ganze Fahrt über mitzuschleppen, hinterher habe ich sie mir im Hafen klauen lassen. (Ja, und ob es Schwachköpfe bei den Geheimdiensten gab, die hatten mir die Hölzer angedreht.) Nachdem er die Japaner derart hatte auflaufen lassen, mußte ihm am allermeisten daran liegen, als tot zu gelten, und es bestand nicht das geringste Risiko, daß er sich nochmal von einem Briten sehen ließ, nicht einmal gemalt.« Den Ausdruck ›en pintura‹ verwendete er auf spanisch, vielleicht weil es auf englisch keine genaue Entsprechung dafür gibt, nichts ebenso Anschauliches. Auch vorher hatte er aus meiner Sprache die Wendung mit den Verästelungen entliehen – ›me voy por las ramas‹ – und die Metapher dann in seiner eigenen fortgeführt, derartige Mischungen kamen zwischen uns häufiger vor, wie schon zwischen Cromer-Blake und mir in meiner Oxforder Zeit. »Was Rendl betrifft, nun ja: Nicht nur hat alles seine Zeit, um geglaubt zu werden, sondern wir hatten außerdem das Pech, daß die Anschuldigung in seinem Fall nicht falsch war und daß er nicht beispielsweise in der regulären Wehrmacht diente, wo ihn vielleicht nicht mehr erwartet hätte als eine Rüge, ein Arrest oder eine Degradierung oder alles zusammen. Oder wenn er ein hohes Tier in der Partei gewesen wäre: Dort wäre die Täuschung mit Glück und je nachdem, was er an Freundschaften und Geschick mitbrachte, unter den Teppich gekehrt worden.« Mir fiel auf, daß er die erste Person Plural verwendet und unpassenderweise ›wir hatten‹ gesagt hatte. »Die SS dagegen forderte von ihren Mitgliedern angeblich reinrassige ›deutsche‹ Vorfahren bis ins Jahr 1750 , zumindest theoretisch und in ihren Anfängen. Himmler muß irgendwann klargeworden sein, daß die Mehrzahl der Beitrittswilligen nicht in der Lage sein würde, ihre Herkunft so weit zurückzuverfolgen, und daß seine Organisation rasch in Personalnöte geraten könnte, sobald sie Kriegsverluste erlitt. Daher wurde die SS seit 1940 in nicht geringem Maß mit Freiwilligen aus Ländern aufgefrischt, die als ›germanisch‹ galten, insbesondere die Waffen- SS , die Kampfverbände, deren Reihen sich alsbald mit Holländern, Flamen, Norwegern und Dänen füllten. Noch später, zum Ende des Kriegs hin, wurden auch ›nichtgermanische‹ Freiwillige zugelassen, Franzosen, Italiener, Wallonen, Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Esten; dazu Ungarn, Kroaten, Serben, Slowenen und Albaner. Sogar eine Indische Legion gab es und islamische Divisionen, ich erinnere mich an eine namens Skanderbeg und noch eine namens Kama (und es gab eine dritte, wie sie hieß, fällt mir gerade nicht ein), sieh nur, was aus der arischen Rassenreinheit geworden war. Und selbst ein winziges British Free Corps hatten sie, das ihnen hauptsächlich zu Propagandazwecken diente. Aber die anfängliche Strenge aus den zwanziger und dreißiger Jahren vermittelt dir einen Begriff davon, wie inakzeptabel es war, wenn ein altgedienter Offizier eine nicht gerade ferne Jüdin im Stammbaum hatte, eine Großmutter, und wenn er darüber gelogen und Papiere unterschlagen hatte, um es zu verbergen und die Truppe zu ›verunreinigen‹. Solange der Krieg anhielt, erfuhren wir nichts Genaues darüber, was nach seiner Enttarnung durch uns aus Rendl geworden war, allerdings schon, daß die Denunziation Wirkung zeitigte, denn sein Name verschwand aus den Offizierslisten, die in regelmäßigen Abständen dem MI 6 oder dem PWE in die Hände fielen. Jefferys oder Delmer oder dessen deutsche Helfer hatten dafür gesorgt, daß die Anschuldigungen über unsere Maulwürfe zu den Nazibehörden gelangten, und diese werden dann wohl ihre Nachforschungen angestellt haben. Das war relativ einfach, vor allem in den besetzten Ländern, wo wir auf örtliche Unterstützer zählen konnten. Hinterher war es nicht ganz so einfach, Informationen über die Ergebnisse zu bekommen, zu erfahren, welche unserer Gerüchte erfolgreich gewesen waren und welches Schicksal die Betroffenen ereilt hatte. Welche Fälschungen als authentisch durchgegangen waren und welche nicht, außer, man stellte fest, daß der vorgebliche ›Jude‹ oder ›Halbjude‹ auf seinem Posten verblieben war, ohne abgesetzt oder degradiert zu werden oder dergleichen. Von Rendl haben wir immerhin erfahren, daß er weder an der Front noch im Hinterland für tot oder vermißt erklärt worden war, aber nicht mehr als Major oder Hauptmann geführt wurde, oder was zu dem Zeitpunkt sein Rang gewesen sein mag.

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