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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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betrachtet.« Wheeler hielt inne, trank zwei Schlucke Sherry und brummte dann widerstrebend, fast schon unwillig: »Ein Glück für ihn, daß er das nie hat miterleben müssen. Es ist keine Szene, die man ertragen kann, sei versichert. Tragödien sollte man sich lieber ersparen. Nichts kann einen dafür entschädigen. Und ganz sicher nicht, daß man davon erzählt.«
    »Wie war es?« Und meine Erziehung veranlaßte mich dazu, das hinzuzusetzen, was ich ihm schon bei anderer Gelegenheit gesagt hatte, obwohl ich mich diesmal zu dem Verhalten zwingen mußte, das man mir von klein auf beigebracht hatte, nämlich daß man anderen unter keinen Umständen die Daumenschrauben anziehen soll. »Wenn Sie nicht wollen, dann erzählen Sie es mir nicht, Peter.«
    Ich fürchtete, Frau Berry könnte jeden Augenblick das Klavier zuklappen und herunterkommen und gleichsam den Zauber brechen, auch wenn ihre Musik noch diskret an unsere Ohren drang, mir schien, sie spielte jetzt Scarlatti, immer fröhliche Stücke, zufälligerweise alle von Exilanten, Scarlatti hatte sein halbes Leben in Spanien verbracht und war anscheinend dort gestorben, bis heute ist nicht sicher geklärt, wie oder wo oder ob er überhaupt begraben wurde, genau wie Boccherini: wahrscheinlich in Madrid, beide in meiner Stadt mehr schlecht als recht beerdigt. Ein Land, das sich nicht um Verdienste schert und um das, was einer geleistet hat. Ein Land, das sich um gar nichts schert, am wenigsten um das, was bereits nicht mehr existiert, oder um vergangenen Stoff.
    »Es ist keine angenehme Erinnerung und auch nicht angenehm anzuhören, Jacobo. Aber ich glaube doch, daß ich es dir erzählen kann. Irgendwann muß man die Dinge wohl erzählen, wenn viel Zeit vergangen ist, damit es nicht den Anschein hat, daß sie nicht geschehen sind oder nur ein böser Traum waren«, antwortete Peter. »›Ich weiß nicht, wie‹, hatte Maria in ihrem Brief geschrieben, und seit Valerie das gelesen hatte, hörte sie nicht auf, es zu wiederholen, manchmal sogar auf deutsch, als spräche sie mit ihr: ›Ich schon, ich weiß sehr wohl, wie, ich weiß es nur zu gut, in Wirklichkeit war ich diejenige, die es der SS zugetragen hat.‹ Und dazu machte sie sich ständig Vorwürfe: ›Die Kinder. Wie konnte ich nur Ilse und die Kinder vergessen. Ich hätte an sie denken müssen, wie ist das möglich. Und doch habe ich sie überhaupt nicht berücksichtigt.‹ Die letzten Tage ihres Lebens quälte sie sich fürchterlich, eine wahre Hölle, aber zu keinem Zeitpunkt kam es ihr in den Sinn, ihrer Freundin zurückzuschreiben. ›Besser, sie hält mich für tot‹, sagte sie. ›Ich könnte es nicht ertragen, ihr das zu gestehen.‹ ›Und wenn du es ihr nicht gestehst und ihr einfach nur hilfst?‹ versuchte ich, sie zu überzeugen. ›Vielleicht könnte man etwas für den Jungen tun, ihm irgendein Visum besorgen und ein Stipendium, ich weiß nicht, ich könnte mit ein paar Leuten reden und ihn finanziell unterstützen.‹ Ich war von Haus aus wohlhabend, Thomas Wheeler, mein Großvater mütterlicherseits, hatte die Zeitungen, die er in Neuseeland und Australien besaß, mit Gewinn verkauft, und nach seinem Tod erhielten Toby und ich in noch sehr jungen Jahren ein stattliches Erbe. Ich schlug ihr sogar vor, daß wir den jungen Rendl adoptieren könnten, so wenig mich der Gedanke begeisterte. Doch Val war vor Entsetzen und Kummer wie gelähmt, sie wollte nichts wissen, sie reagierte nicht. Sie lag nächtelang wach, und wenn sie irgendwann völlig erschöpft einschlief, schreckte sie mitten in der Nacht hoch, unter Tränen und schweißgebadet, und sagte in exaltierter Beklemmung zu mir: ›Diese Mädchen. Wenn ich die Geschichte wenigstens von selbst herausgefunden hätte, dann wäre mein Handeln vielleicht berechtigt gewesen, vielleicht, ich glaube es nicht. Aber ich habe durch Maria davon erfahren und ich habe sie verraten, ohne darüber nachzudenken, wie konnte ich nur, wie konnte ich es nicht merken. Und diese Mädchen, die durch meine Schuld in einem KZ umgekommen sind, sie werden nichts verstanden haben, und ihre Mutter ist mit ihnen eingestiegen, was hätte sie auch sonst tun sollen, die Ärmste, gütiger Himmel …‹« Wheeler hielt einen Augenblick inne und kaute auf dem Zeigefinger herum, nachdenklich und angespannt. (›Weil Gram dein Bett umlagert‹, zitierte ich für mich.) Dann sagte er: »Verrat lag nicht in ihrem Wesen, und Denunziantentum schon gar nicht. Mehr noch, diese Dinge waren

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