Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
ist, daß ich das schon wußte. Ich wußte, daß alles nutzlos sein würde, daß ihr Leben aus den Fugen geraten war und sich nie wieder einrenken würde. Damals gehörte ich bereits der Gruppe an, die allzuspät geschaffen worden war, um ihr das Leben zu retten. Nicht, daß meine Gabe, meine Fähigkeit zu deuten, vorher geringer gewesen wäre, natürlich nicht, aber man richtet seine Wahrnehmung nach der Aufgabe aus, die man zu erledigen hat, und man schärft sie und gewöhnt sich daran, das zu ergründen und tiefer zu durchleuchten, was morgen kommen wird. Auch du wirst diese Veränderung wahrgenommen haben, diesen Zuwachs an Scharfsicht, seit du mit Tupra zusammenarbeitest, oder täusche ich mich da?«
»Nein, Sie täuschen sich nicht. Ich bin jetzt wacher. Und ich neige dazu, alles zu deuten, selbst wenn ich gerade nicht arbeite und niemand von mir einen Bericht über das verlangen wird, was ich wahrnehme.« Und ich nutzte die Gelegenheit, ihn nach etwas zu fragen, auf das ich mir keinen Reim machen konnte, selbst auf die Gefahr hin, kostbare Zeit zu vergeuden oder von Frau Berry unterbrochen zu werden: »Wenn ich mich recht entsinne, Peter, sagten Sie beim ersten Mal, als sie mir von der Gruppe erzählten, Valerie sei schon gestorben« – › … that Valerie was already dead ‹, lauteten meine Worte –, »bevor Menzies oder Vivian oder wer auch immer auf die Idee kam. Das verstehe ich nicht, wenn die Gruppe doch während des Kriegs gegründet wurde.«
Wheeler wirkte verdutzt, perplex. Er dachte einige Sekunden nach, dann sagte er auf spanisch mit dem strahlenden Gesicht dessen, der eine Lösung für ein kleines Rätsel gefunden hat (bis zum Schluß genoß er linguistische Merkwürdigkeiten):
»Ah. Ah. Das muß an einer Uneindeutigkeit liegen oder daran, daß du es falsch verstanden hast, Jacobo. Wenn ich das so gesagt habe wie du eben, ›she was already dead‹, so entsprach dem in deiner Sprache zweifellos ›sie war tot‹, ich meinte das im umgangssprachlichen, im übertragenen Sinne, nicht in dem Sinn, daß sie buchstäblich schon gestorben war.« Und hier wechselte er wieder ins Englische, zu dem Zeitpunkt war es offensichtlich, daß es ihn stärker ermüdete, in einer fremden Sprache zu sprechen. »Wahrscheinlich wollte ich sagen, daß es damals bereits zu spät war, daß ihr Schicksal bereits entschieden war. Der springende Punkt war: Wäre die Gruppe früher geschaffen worden, so hätte vielleicht jemand erkannt – gewiß ich selbst mit wachsamem, ausgebildetem, bereitem Blick –, daß Valerie, so wie sie als Spionin nicht weit gekommen wäre, was ihr bewußt war, auch für schwarze Propaganda ungeeignet war, ein allzu schmutziges Geschäft angesichts ihres Skrupels und ihres Widerwillens gegen jede Art von Täuschung. Und erst recht nicht dazu, das Leben von Unschuldigen zu gefährden oder zu opfern, und wenn es noch so oft Deutsche waren. Du weißt ja: Ein Schritt führt zum nächsten, man tut Dinge, für die man nicht dickhäutig genug oder nicht befähigt ist, und im Krieg wird von den Leuten das Äußerste verlangt, oder sie selbst sind es, die sich unmerklich weiter strecken, als ihre Kraft reicht, auch wenn sie erst zerbrechen, wenn alles vorbei ist. Hätte jemand rechtzeitig ihre Grenzen erkannt, so wäre sie vielleicht aus Milton Bryant abgezogen worden. Man hätte sie zurück ins Foreign Office versetzt, keine Ahnung, oder ihren Tätigkeitsbereich auf weiße Propaganda beschränkt.« Wheeler fuhr sich über die Stirn, es war jetzt fast ein Pressen. »Manchmal sage ich mir, daß ich es trotzdem hätte wissen müssen. Aber es ist leicht, sich Vorwürfe zu machen, wenn der Stier schon vorbeigestürmt ist, um noch eine eurer Wendungen zu benutzen – wenn man weiß, wie folgenschwer etwas war. Ich hatte nicht einmal besonders genaue Kenntnis darüber, was Valerie beim PWE eigentlich tat, die meiste Zeit war ich Tausende von Meilen entfernt. Und sie hat mir gegenüber diesen Begriff nie erwähnt, ›schwarze Propaganda‹, es kann also sein, daß sie sie betrieb, ohne zu wissen, daß es so etwas gab, oder besser gesagt, was dahintersteckte. Ebenso kann es sein, daß sie aufgrund ihrer Anordnungen sogar mir gegenüber Diskretion gewahrt hat. Ich weiß nicht. Wenn Delmer diabolisch war, dann muß dieser Jefferys Luzifer persönlich gewesen sein.« Er machte eine ganz kurze Pause und fügte hinzu: »Ich werde es nie erfahren, wer er war, wer sich hinter diesem Namen versteckte. Mir bleibt nur
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