Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
weiterzuwünschen. Seltsam, alles, was sich bezog, so lose im Raume flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam …‹ – »Bestimmt dachte sie, daß ich ihr die Waffe aus der Hand schlagen und daß es danach keine Gelegenheit mehr geben würde, ich weiß nicht.« ›And indeed there won’t be time to wonder, »Do I dare?« and, »Do I dare?« Do I dare disturb the universe? Time to turn back and descend the stair … And in short, I am afraid …‹ Nein, es wird keine Zeit mehr sein, um mich zu fragen, ob ich es wage und ob ich es wage, ob ich es wage, das Universum aufzustören, Zeit, mich umzudrehen und die Treppe hinunterzugehen … und kurzum, ich hatte Angst … Da wird es das Beste sein, nicht zu warten. »Dort blieb sie liegen.« Und wieder deutete Wheeler nach oben zum ersten Treppenabsatz seines jetzigen Hauses, wo ich den Blutfleck entdeckt und mit so viel Eifer und Mühe weggeputzt hatte. »Es war sehr mühselig, dieses Blut zu entfernen. Es quoll hervor, es strömte, obwohl ich das Einschußloch sofort mit Handtüchern abgedeckt hatte. Ich wußte, daß sie bereits tot war, und doch band ich die Wunde ab. Sie hatte sich angekleidet und zurechtgemacht, sie hatte ihr Haar im Nacken hochgebunden, sie hatte sich die Lippen geschminkt, um mir Lebwohl zu sagen, das war eine Sache der guten Erziehung, der damaligen Zeit, der heute schon unendlich altmodischen guten Erziehung, die sie genossen hatte, nie empfing sie Besuch oder ging auf die Straße, ohne sich geschminkt zu haben … Und als dann keine Spur mehr übrig war, sah ich immer noch das Blut.« ›Als letztes wird der Rand verschwunden sein‹, dachte ich. ›Oder es waren wohl mehrere, weil es mehr als nur einen Fleck gegeben haben muß, und vielleicht bildete sich ein Rinnsal.‹ »Ich bin dann weggezogen, ich konnte dort nicht bleiben.«
»Aber Sie zogen nicht direkt hierher, oder, Peter?« fragte ich ihn.
»Nein, ich richtete mich in meinen Räumlichkeiten im College ein und blieb dort drei Jahre, ich wollte lieber Menschen um mich haben. Aber du siehst ja: Eine Nacht, eine einzige Nacht lang habe ich nicht über ihren Schlaf oder Nichtschlaf gewacht, und Valerie hat sich umgebracht. Sie konnte damit nicht leben. Und ich habe das nicht vorausgesehen. Ich hätte es mir nie vorstellen können, nicht einmal als sie mich ins Obergeschoß schickte, in die chambre de bonne . Der Vorwand war plausibel und ich war unvorbereitet: Es war das erste Mal, daß sie mich täuschte. Du weißt nicht, wie oft ich später überlegt habe, ob ich wohl rechtzeitig gekommen wäre, wenn ich nach dem Aufwachen weniger lange gebraucht hätte, um zu begreifen, wo ich war« – ›Don’t linger or delay‹, dachte ich –, »oder wenn ich das Buch nicht aufgehoben hätte oder wenn ich das Licht nicht ausgeschaltet hätte oder wenn ich den Morgenmantel nicht angezogen hätte oder wenn ich die beiden Treppenstücke schneller hinuntergegangen wäre oder wenn ich sie ebenso langsam und vorsichtig hinuntergegangen wäre, aber ohne den Mund aufzumachen, ohne ihren Namen auszusprechen, ohne sie wissen zu lassen, daß ich da war. Alles Unsinn. Aber man denkt ihn ein ums andere Mal.« ›Blutbefleckt und schuldig, schuldhaft wach‹, erinnerte ich mich. »Nachdem einige Zeit vergangen war, schrieb ich Maria Mauthner, ich sagte, wer ich war, sie wußte nichts von mir. Ich teilte ihr mit, daß Val gestorben sei, aber nicht wann oder wie oder warum. Der Krieg, sagte ich, das genügte. Ich half ihrem Neffen, nach England zu kommen, wollte aber keinen Kontakt zu ihm, das wäre gewesen, als betrachtete ich Vals Gewehr. Und ich habe später auch seinem Sohn geholfen, dem Rendel, den du kennst: Anscheinend macht er sich in der Gruppe nicht schlecht, er ist allerdings nicht ganz so begabt wie Tupra oder du, es fehlt ihm an Scharfblick. Wenigstens hat er eine gute Stelle. Der meine, mein Blick, wurde in der Folge um einiges schärfer, das versichere ich dir. Ich versprach mir, daß mir nie wieder etwas Derartiges mit einem Menschen passieren würde, weil ich nicht wüßte oder nicht zu sehen wagte. Obwohl mir natürlich niemand mehr so viel bedeutet hat: Die meisten Leute, die ich später beobachtet und gedeutet, über die ich mein Urteil abgegeben habe, von denen ich gesagt habe, ob sie von Nutzen sein konnten oder nicht und wozu, haben mir nicht einmal einen Bruchteil dessen bedeutet. Aber wenigstens kann ich dir jetzt ohne Furcht, mich zu irren, sagen, daß du mit deiner Geschichte
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