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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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zu empfinden. Daß sie uns das Knie gegen die Brust drückten und schwer auf unserer Seele lasteten.
    »Wie hieß dein Vater mit Vornamen, wie heißt er?« fragte ich sie, ich berichtigte mich sofort. Sie hatte mich angesteckt mit ihren zeitlichen Schwankungen. ›Er behauptete, behauptet es noch‹, ›Er sagte, sagt er‹, ›Er hatte, er hat‹, ich nahm an, daß ihr die unpassenden Zeitformen entschlüpften, weil ihr Vater schon älter war und es sie jeden Tag größere Mühe kostete, in ihm den aus ihrer Kindheit zu sehen; so ergeht es uns Kindern, die wir die Väter und Mütter unserer Kindheit für die eigentlichen halten, die wesentlichen und fast die einzigen, und später, selbst wenn wir sie anerkennen und respektieren, selbst wenn wir uns um sie kümmern, sehen wir sie ein wenig als Hochstapler. Vielleicht sehen sie uns ihrerseits auch so, in unserer Jugend und als Erwachsene. (Ich blieb weiter der Kindheit meiner Kinder fern, wer weiß, wie lange noch; immerhin, wenn die Entfremdung sich noch lange fortsetzte, würden wir uns später nicht als Hochstapler sehen, weder sie mich noch ich sie. Eher als Onkel und Neffen, etwas in der Art, etwas Komisches.)
    »Alberto. Albert. Also, Albert.« Die zweite Form hatte sie katalanisch ausgesprochen, das heißt auf der zweiten Silbe betont, und die dritte englisch, mit Betonung auf der ersten Silbe. Ich folgerte daraus, daß ihr Vater in seiner Wahlheimat diesen letzten Namen angenommen hatte, diese dritte Form: so nannten ihn wohl seine Bekannten und Freunde, so mußte ihn seine zweite Frau zu Hause genannt haben, und so hatte es wohl das Mädchen Pérez-Nuix gehört, bevor sie ihren prätentiösen Bindestrich ablegte. »Warum?«
    »Aus keinem besonderen Grund. Wenn man mir von jemandem erzählt, den ich nicht kenne, kann ich mir eine bessere Vorstellung machen, wenn ich seinen Vornamen weiß. Namen sind manchmal ganz schön prägend. Es ist zum Beispiel nicht unerheblich, daß Tupra Bertram heißt.« Und mit dem folgenden Satz nutzte ich meine vorübergehende Machtposition aus, es war ein Versuch, die junge Frau zu verunsichern oder sie zu einer Eile anzutreiben, die gar nicht mehr nötig war, ich hatte mich in die Situation und ihre angenehme Anwesenheit gefügt, mein Wohnzimmer war eindeutig gemütlicher mit ihr und unterhaltsamer. »Ich weiß noch immer nicht, warum du mir all diese Sachen von deinem Vater erzählst. Nicht, daß mich das nicht interessieren würde, glaub das nicht. Ich erfahre gern etwas von dir, gerade das.«
    »Keine Sorge, ich bin nicht vom Thema abgekommen; oder nicht ganz, ich komme schon dazu«, antwortete sie etwas hastig. Mein Satz hatte seine Wirkung nicht verfehlt, manchmal ist es sehr einfach, jemanden nervös zu machen, sogar diejenigen, die es sonst nicht werden. Sie gehörte zu letzteren, wie Tupra und Mulryan und Rendel. Auch ich mußte wohl dazugehören, wenn sie mich in ihre Gruppe aufgenommen hatten, obwohl ich nicht glaubte, diese Tugend zu besitzen, oder kein Bewußtsein von ihr hatte, oft spüre ich meine Nerven wie Nadeln. Also verstellten wir uns vielleicht alle oder bewahrten die Ruhe bei der Arbeit und außerhalb nicht so sehr. »Also, seit dem Tod meiner Mutter … seit sechs Jahren lebt mein Vater entfesselter denn je, mit einem stärkeren Bedürfnis nach Aktivität und Gesellschaft. Und ab einem gewissen Alter kann es Geld kosten, das beides zu bekommen, egal wie gesellig und charmant man ist; er hat es mit vollen Händen ausgegeben, nunmehr ohne die Kontrolle durch meine Mutter.«
    »Wie, ließ er es von ihr verwalten?«
    »Das nicht gerade. Es lag vor allem daran, daß es von ihr kam, sie war es, die mehr hatte, von Haus aus, und ihre Einkünfte waren mehr oder weniger geregelt und gesichert. Nicht, daß sie reich gewesen wäre, es war kein Vermögen, aber doch genug, um in einem oder sogar in anderthalb Leben voller Bequemlichkeiten, sagen wir, keine Engpässe zu erleiden. Er verdiente immer nur sporadisch. Er ließ sich optimistisch auf verschiedene riskante Geschäfte ein, Film- und Fernsehproduktion, Verlage, angesagte Bars, neu gegründete Auktionshäuser, die keinen Aufschwung nahmen. Ein Geschäft ging gut und verschaffte ihm ein oder zwei Jahre lang große Gewinne. Andere gingen sehr schlecht, oder er ließ sich übers Ohr hauen und verlor mit einem Schlag, was er investiert hatte. In den einen wie in den anderen Phasen änderte er nie seinen Lebensstil oder versagte sich seine Vergnügungen und Feste.

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