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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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short‹, wenn man englisch spricht, ›Mach’s kurz‹), ich ließ der jungen Frau an jenem Abend alle Zeit der Welt, der Regen draußen nahm uns die Eile.
    »Ja, meine Mutter hieß Waller als junges Mädchen. Er setzt einen Bindestrich dazwischen, Pérez-Nuix«, antwortete sie und zeichnete diesen Strich in die Luft, »ich nicht. Ich mach’s wie Conan Doyle.« Sie lächelte, ich dachte, es würde für eine gute Weile das letzte Mal sein, so lange sie brauchen würde, ihren Fall darzustellen. »Mein Vater ist schon älter, er bekam mich spät, in seiner zweiten Ehe, ich habe noch eine Halbschwester und einen Halbbruder, die sehr viel älter sind als ich, ich habe nie viel Umgang mit ihnen gehabt. Obwohl sie ziemlich viel jünger war als er, ist meine Mutter vor sechs Jahren gestorben, ein schneller Krebstod. Er war damals schon pensioniert; na ja, soweit jemand in Pension gehen kann, der zu viele Dinge gemacht hat, die meisten unproduktiv und vage und ohne sie jemals ganz aufzugeben. Er war immer ein Frauenheld, er ist es noch, im Rahmen seiner Möglichkeiten, doch damals war er hilflos oder vielleicht verwirrt: Er verlor sogar das Interesse an anderen Frauen. Natürlich war das vorübergehend, ein paar Monate als plötzlich gealterter Witwer, bald sah er wieder jünger aus. Als Kind war es ihm in Spanien sehr schlecht ergangen, während des Krieges und danach, bis es seinem Vater gelang, ihn herauszuholen und nach England zu bringen, mein Großvater hatte 39 das Land verlassen und konnte ihn erst 45 holen, als hier der Krieg gegen Deutschland zu Ende war; mein Vater kam also schon mit fünfzehn hierher und hat immer zwischen den beiden Ländern gelebt, er hatte ältere Geschwister in Barcelona zurückgelassen, die das Land nicht mehr wechseln wollten, als es ihnen möglich war. Er hatte es am Anfang in London auch nicht leicht, bis er sich etablieren konnte. Er hat gut geheiratet, beide Male; das kostete ihn keine große Mühe, er war ein charmanter und gutaussehender Mann. Ein gewaltiger Irrtum und eine Ungerechtigkeit, seinen Worten zufolge, daß er zu Beginn seines Lebens solche Schwierigkeiten erleben mußte, aber natürlich vergaß er sie und hielt sich rasch schadlos. Auf jeden Fall lachte er, wenn er das sagte. Er behauptete immer, behauptet es noch, daß man auf die Welt kommt, um zu feiern, und wer das nicht versteht, hat sich im Ort geirrt, sagt er. Er hatte immer sehr gute Laune, er hat sie noch immer, er gehört zu den Leuten, die traurige Menschen meiden und sich langweilen, wenn sie leiden; auch wenn sie Grund dazu hätten, schütteln sie es ab, es erscheint ihnen sinnlos und als Zeitverschwendung, als eine Phase unfreiwilligen, aufgezwungenen Überdrusses, die das ständige Fest unterbricht und es einem sogar verderben kann. Er hat sehr unter dem Tod meiner Mutter gelitten, ich habe es gesehen, sein Schmerz war vollkommen aufrichtig, einige Tage lang grenzte er an Verzweiflung, er war wie verstört, schloß sich zu Hause ein, was ungewöhnlich bei ihm war, er hat sich sein Leben lang an öffentlichen Orten aufgehalten und Vergnügen verschafft. Aber er war unfähig, sich länger als ein paar Monate dem Schmerz hinzugeben. Klagen duldet er nur als eine kurze Koketterie, bei anderen wie bei sich selbst, als ein Spiel auf der Suche nach Ermutigung oder Komplimenten, und sich in ihnen einzurichten, wäre ihm vorgekommen, als würde man das Leben nicht nutzen, als Verschwendung.«
    Das war das Wort, das Wheeler und auch mein Vater verwendet hatten, um sich auf etwas ganz anderes zu beziehen, auf die Toten der Kriege, vor allem, wenn der Konflikt beendet ist und man sieht, daß in Wirklichkeit alles noch immer mehr oder weniger an seinem Platz ist, so wie es sich mehr oder weniger erhalten hätte, wenn wir uns das Gemetzel erspart hätten. So werden Kriege empfunden, die meisten jedenfalls, wenn der Lauf der Jahre sie entfernt und die Menschen nicht einmal mehr die entscheidenden Schlachten kennen, die zu ihrem Entstehen führten. Dem Vater der jungen Nuix zufolge war es ebenfalls eine Verschwendung, der Betrübnis Zeit zu widmen, der Trauer. Und mir ging durch den Kopf, daß sich sein Gedanke vielleicht nicht so sehr von dem meiner beiden Alten unterschied, auch wenn er kategorischer war: Nicht nur die Toten, die kriegsbedingten oder die friedlichen, waren eine Verschwendung, sondern auch, daß sie uns verdüsterten und uns mit sich rissen, daß sie uns nicht erlaubten, uns zu erholen oder wieder Freude

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