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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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geherrscht haben und es noch immer tun, so sehr sie es jetzt auch verhehlen, indem sie ihre Dynastie Windsor nennen, sie haben die Umbenennung erst unlängst vollzogen, unter Georg V. Ich weiß nicht, es gibt Unmengen, seit langem, und die meisten sind oder waren so britisch wie Churchill oder wie Blair oder Thatcher. Oder wie Disraeli, for that matter, dem Premierminister unter der Königin Victoria, und sag mir, was an diesem Namen englisch ist.« Sie hielt einen Augenblick inne. Sie war besser informiert und gebildeter, als ich geglaubt hatte, sicher hatte sie ebenfalls in Oxford studiert, wie so viele Staatsdiener; oder aber sie hatte sich die Präzedenzfälle gut gemerkt, weil ihr eigener Name ausländisch war, und identifizierte sich mit ihnen. Sie fühlte sich ganz als Engländerin, es war interessant, das zu wissen, sie würde nie unter Loyalitätskonflikten leiden; mir schien, als ließe ihre Reaktion sogar einen gewissen Patriotismus erkennen, und das war besorgniserregend, wie bei jedem. Sie leerte ihr drittes Glas; dann zündete sie eine weitere meiner Zigaretten vom Peloponnes an und nahm zwei Züge nacheinander, als sei sie endlich entschlossen, ihre Angelegenheit anzusprechen, und dies seien die letzten Vorbereitungen, das Äquivalent zu dem geistigen Anlauf, den sie oft bei der Arbeit nahm, wenn sie das Wort über die Begrüßung oder die einzelne Frage oder Antwort hinaus an mich richtete: trinken, rauchen, mündlich einen neuen Absatz markieren. Durch die leichte Erregung, nehme ich an (sie hatte gestikuliert, während sie sich als Britin bekannte und mich aufklärte, sie sei keine halbe Landsfrau von mir, entgegen meiner Überzeugung oder besser gesagt meinen Empfindungen), war die Laufmasche des Strumpfes weiter nach unten fortgeschritten, sie näherte sich dem Stiefel; oben hatte sie den Saum des Rockes erreicht, danach würde man sie nicht weiter wachsen sehen, es sei denn, dieser rutschte oder sie zöge ihn ein wenig hoch, und warum sollte sie das tun, es war nicht auszuschließen, daß sie es zerstreut tat, oder vielleicht war das mein Wunsch. Aber es kamen erst ein Punkt und ein neuer Satz: »Auch bei meiner Bitte«, sagte sie in einem anderen Ton, eher zweifelnd und zurückhaltend, »geht es just um Engländer mit ausländischem Namen und auch um eine Tochter und einen Vater, die Tochter bin ich und der Vater ist der meine, deshalb ist es ein großer Gefallen. Wir sind natürlich nicht so reich wie es die Broccolis sein dürften, und das ist Teil des Problems.« Sie unterbrach sich, als sei sie nicht sicher, ob es ihrem Anliegen diente, kleine Scherze einfließen zu lassen, oder nicht, sie schwankte zwischen Feierlichkeit und Leichtigkeit, fast alle, die um etwas bitten, verfallen am Ende in erstere oder fürchten, ihre Bitte könnte keine Kraft haben. Und ohne Übertreibung geht es nicht ab, wer ihnen Gehör leiht, tut gut daran, etwas Schwere abzuziehen. Und auch wenn Lüge oder Erfindung nicht gar so weit gehen, ist es doch besser, mit ihrer Wahrscheinlichkeit zu rechnen, absolute Gutgläubigkeit gegenüber der Darstellung eines Dramas oder einer Gefahr bringt den Zuhörer in Teufels Küche. Und so bereitete ich mich nicht darauf vor, sie ganz aufzuheben, wohl aber, sie zu bekämpfen und zu unterminieren, denn ich bin von Natur aus gutgläubig, bis ich den falschen Ton höre.
    »Sag mir, worum es geht. Sag’s mir, und ich werde sehen, was ich tun kann oder ob ich etwas tun kann. Was ist mit Mr. Pérez Nuix, beide Namen gehören zu ihm, nicht?« Auch ich konnte nicht vermeiden, daß mir die Herablassung desjenigen über die Lippen kam, der in der Lage ist, zuzuhören, abzuwägen, es sich zu überlegen, vorübergehend ein Rätsel zu sein, im Ungewissen zu lassen und zu gewähren oder zu verweigern oder sich zweideutig zu geben. Man fühlt sich immer ein Stück weit wichtig, man weiß, daß man Vergnügen im ›Ja‹ und im ›Nein‹ und im ›Vielleicht‹ finden wird (›Wie nett ich mich verhalte‹, wird man sich sagen; oder ›Wie hart ich bin, wie unerschütterlich, ich bin nicht auf den Kopf gefallen und lasse mich von niemandem verschaukeln‹; oder ›Wenn ich mich noch nicht entscheide, bin ich Herr über die Ungewissheit‹), und man fordert großzügig und geduldig zum Sprechen auf: ›Nur zu‹ oder ›Sag mir‹ oder ›Erklär dich‹; oder einschüchternd und drängend: ›Schieß los‹ oder ›Du hast zwei Minuten, nütze sie und komm zur Sache‹ (oder ›Make the story

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