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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Meine Mutter übernahm es, ihn ein wenig zu bremsen, damit seine Verschwendung kein solches Ausmaß erreichte, daß sie zu einer Gefahr für ihre finanziellen Verhältnisse wurde. Das hatte vor sechs Jahren ein Ende. Jetzt, vor etwa einem Monat, habe ich erfahren, daß er gewaltige Spielschulden hat. Er hat sich schon immer für Pferderennen begeistert und für die Wetten auf seine geliebten Pferde; aber jetzt wettet er auf alles mögliche und hat außerdem auch noch das Internet entdeckt, wo die Auswahl unbegrenzt ist; er besucht Spielhöllen und Kasinos, Orte, an denen ihm die Gesellschaft erregter Leute garantiert ist, das hat ihn, seit ich denken kann, am meisten angezogen, und so sind es hauptsächlich diese Orte, wo er heute das Amüsement fortsetzt, aus dem für ihn die Welt besteht; und um Zugang zu ihnen zu haben, braucht man keine Empfehlungen und muß auch nicht darauf warten, eingeladen zu werden, was für einen schon bejahrten Mann ein großer Vorteil ist. Dann verschwand er zeitweise von zu Hause, und ich hörte nichts von ihm, bis er daran dachte, mich eines abends aus Bath oder Brighton oder Paris oder Barcelona oder aus einem Hotel hier in London zu benachrichtigen, er nahm sich tatsächlich ein Zimmer in derselben Stadt, in der er sein Zuhause hatte, stell dir das mal vor, und kein schlechtes, nur um sich stärker als Teil des Geschehens und der Menschenmassen zu fühlen, um durch die Hotelhalle zu wandeln und Gespräche in den Salons anzuknüpfen, normalerweise mit absurden amerikanischen Touristen, die sind ja besonders darauf aus, sich mit Einheimischen zu unterhalten. Ich habe auch erfahren, daß er seit Jahrzehnten und noch bis vor wenigen Monaten eine kleine Suite in einem alten Hotel fest gemietet hatte, im Basil Street, das kein Luxushotel ist und ein wenig antiquiert wirkt, aber stell dir vor, was das gekostet hat und wozu er es wohl brauchte, jemanden zu verwöhnen kommt einen am teuersten zu stehen. Diese Schulden sind immerhin schon bezahlt, die Leute vom Hotel waren verständnisvoll, und ich habe mit ihnen einen Kompromiß ausgehandelt. Aber natürlich nicht die Spielschulden, die ihm über den Kopf gewachsen sind, wie es naiven Spielern oft ergeht und denjenigen, die sich bemühen, ihren neuen Bekannten zu gefallen, und mein Vater ist entzückt, wenn er seinen Freundeskreis erneuern kann.« Die junge Pérez Nuix holte Luft (aber ohne Getue), stellte die Beine nebeneinander und schlug sie dann zur anderen Seite über (das untere nach oben und das obere nach unten, ich meinte sogar das Fortschreiten des Risses zu vernehmen, ich ließ ihn nicht aus den Augen), faßte ihr Glas am Fuß und schob es mir eine Daumenbreite weit entgegen. Mir war es lieber, wenn sie nicht so viel trank, obwohl sie es gut zu verkraften schien. Ich tat, als bemerkte ich die Geste nicht, ich würde warten, bis sie darauf bestand und das Glas noch weitere Daumenbreiten in meine Richtung rückte. »Zum Glück sind die Schulden nicht weithin verteilt, immerhin. Im übrigen fehlt es ihm nicht vollständig an Vernunft, und so hat er bei einer Bank um Kredite gebeten; na ja, eher bei einem befreundeten Bankier, einem halb persönlichen Freund, ursprünglich war er ein Freund meiner Mutter, der seine nur mittelbar oder qua Gemeinsamkeit. Dieser Herr, Mr. Vickers, delegierte die Sache jedoch an einen Strohmann, ich glaube, um seine Bank auf keinen Fall mit hineinzuziehen: einen Mann, der die unterschiedlichsten Geschäfte betrieb, der unter anderen zahllosen Dingen mit Lotterien und Wetten zu tun hatte und daher gelegentlich Geld verlieh. Die Summen kamen in diesem Fall immer von dem Bankier, aber der Strohmann wurde beauftragt, die Übergaben vorzunehmen und auch das Geld wieder einzutreiben, sozusagen mitsamt den Bankzinsen. Und da er, wenn es ihm nicht gelingt, sie einzuziehen, vor Vickers dafür geradestehen und ihm diese Summen aus eigener Tasche bezahlen muß, wirst du dir allmählich eine Vorstellung von der Verlegenheit machen, in der mein Vater sich befindet.«
    »Na ja, ich weiß nicht, sie werden ihn anzeigen, nicht? Oder wie funktioniert das? Kannst du dich nicht mit diesem Vickers einigen, wenn er ein Freund deiner Mutter war?«
    »Nein, so geht das nicht, du verstehst mich nicht«, sagte Pérez Nuix, und in der letzten Aussage lag ein Ton kontrollierter Verzweiflung, der erste, den ich an ihr bemerkte. »Das Geld ist ursprünglich seines, ja, aber in praktischer Hinsicht ist es, als wenn das nicht so wäre.

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