Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
Vom Netzwerk:
wiederholt werden, ›Bitte, bitte‹, ›Bitte, bitte‹. Sie schlug die Beine übereinander und ich sah nichts mehr, jetzt konnte ich ohne Impertinenz überallhin schauen, ich sah noch die Schenkel ohne Strümpfe. Sie trank aus ihrem Glas, einen kleinen Schluck, und steckte sich eine weitere Karelias zwischen die roten Lippen – eine ferne Illustration aus der Kindheit –, ohne sie anzuzünden. Der Hund war tief eingeschlafen, als hätte er sich an den Gedanken gewöhnt, die ganze Nacht dazubleiben, und so ausgestreckt wirkte er noch weißer. Ich schaute aus dem Fenster und trat von ihm zurück, es gab keine Veränderungen, noch immer fielen die flexiblen Gerten oder endlosen Lanzen herab, als schlössen sie für immer die freie Sicht aus, immer beherrschender. Ich machte ein paar Schritte und setzte mich an den gleichen Platz wie zuvor. Ich hatte das Gefühl, daß das Schweigen keine Pause mehr war, sondern daß Pérez Nuix’ Darstellung beendet war; daß sie ihre Bitte jetzt für formuliert und abgeschlossen hielt, einschließlich der schüchternen Schmeicheleien und der Argumente und vernünftigen Versuche, mich zu überzeugen. Ich fühlte, daß ich an der Reihe war, endlich zu antworten, daß sie nichts mehr hinzufügen würde. ›Ja‹ oder ›nein‹ zu antworten oder ›Kann sein‹ oder ›Wir werden sehen‹. Oder ihr etwas mehr Hoffnung zu vermitteln, ohne mich zu etwas zu verpflichten: ›Ich werde sehen, was ich tun kann, ich werde versuchen, es zu machen.‹ Was die Unterhaltung oder den Besuch nicht beenden würde, wäre ein ›Kommt drauf an‹. Ich war nicht sicher, ob ich ein Ende wollte, und so antwortete ich ihr noch nicht, sondern stellte ihr eine weitere Frage:
    »Wie hoch sind diese Schulden genau?«
    Sie zündete die Zigarette an, und ich glaubte, sie einen Moment lang erröten zu sehen, es war das Feuer oder die nur lauernde Röte, wie wenn sie in dem namenlosen Büro kurz ihre Energie sammelte, bevor sie sich an mich wandte, um eine Weile zu plaudern, das heißt, über den Gruß oder die einzelne Nachfrage hinaus, als nähme sie Schwung oder Anlauf, und daran merkte ich, daß sie mich nicht verwarf, wenn auch sicher ohne zu wissen, daß sie es nicht tat, oder ohne darüber nachgedacht zu haben. Ich dachte: ›Es ist ihr peinlich, mir den Betrag zu gestehen. Weil er niedrig ist und ich dann weiß, daß sie ihn nicht bezahlen kann, oder weil er hoch ist und ich also erfahre, wie maßlos oder wie verrückt ihr Vater ist und damit vielleicht auch sie.‹
    »Fast 200000 Pfund«, antwortete sie mir nach einigen Sekunden und hob die Augenbrauen in einer Geste, die natürlich nicht englisch war, als wollte sie hinzufügen: ›Da hast du’s, was soll ich machen.‹ Was sie tatsächlich hinzufügte, ging auch in diese Richtung: »Wie findest du das?«
    Ich rechnete rasch. Das waren fast 300000 Euro oder 50 Millionen alte Peseten, ich hatte mich noch nicht wieder ganz an das Pfund gewöhnt und vielleicht gewöhne ich mich nie ganz an den Euro, wenn es um große Mengen geht, mit denen man nicht jeden Tag zu tun hat.
    »Dieser Incompara ist sehr großzügig, was er auch sonst für Fehler haben mag«, antwortete ich. »Oder dieser Bericht ist viel für ihn wert.« Und dann stellte ich eine weitere Frage, vielleicht die, die ich am wenigsten erwartete, ich weiß nicht, ob auch sie, das hing davon ab, wie gut sie mich kannte, wie viel mehr sie von mir wußte als ich selbst, wie weit und mit welcher Tiefe sie mich in jenen Monaten des nahen Umgangs übersetzt und gedeutet hatte, um bei den Begriffen zu bleiben, die wir bisweilen für unsere vage Arbeit benutzten. Die Frage fiel mir als Witz ein, und ich sah keinen Grund, mich zurückzuhalten. Außerdem würde ich sie dadurch zwingen, etwas auf den Tisch zu legen, meine Mitwirkung zu bewerten, an mich und mein Risiko zu denken, an meinen möglichen Nachteil und meinen unwahrscheinlichen Vorteil. Es ist leicht und bequem, um einen Gefallen zu bitten, schwierig und ärgerlich ist es, sich die Bitte anzuhören und entscheiden zu müssen, ob man ihr nachgibt oder nicht. Ein Geschäft bedeutet für beide Seiten mehr Arbeit und mehr Vorsicht und Berechnung. Bei einem Gefallen entscheidet und berechnet nur einer, derjenige, der sich dafür hergeben wird oder nicht, denn niemand ist verpflichtet, Gefälligkeiten zu erwidern, nicht einmal für sie dankbar zu sein. Jemand bittet, wartet, und er bekommt etwas oder nicht; in beiden Fällen kann er dann in aller Ruhe

Weitere Kostenlose Bücher