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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Weltkrieges oder an dessen Ende, und ich habe ihn nie persönlich kennen gelernt. Man erzählt, man sagt, er habe bei einer Bewertung einen Fehler begangen, der ihn teuer zu stehen kam. Er hat etwas nicht vorausgesehen, das ihm schwer zugesetzt oder das Gefühl gegeben hat, schuldig zu sein oder nutzlos oder ein lebender Toter, Genaues weiß ich nicht. Ich habe es irgendwann nebenbei erwähnt gehört, als ein Beispiel für Unglück, aber ich habe nicht nachgefragt oder man hat mir nicht geantwortet, die meisten unserer Aktionen sind nach sechzig oder mehr Jahren noch immer geheim, vielleicht sind sie es für immer, zumindest offiziell. Was durchsickert, kommt gewöhnlich von außen und ist oft spekulativ, nicht sehr zuverlässig. Oder von Leuten mit Ressentiments, die ausgetreten sind oder ausgeschlossen wurden und dann die Dinge verzerren. Es ist schwierig, etwas Genaues über unsere Vergangenheit zu erfahren, vor allem von innen, die innen oder wir innen sind die Diskretesten, die mit der geringsten Neugier, es ist, als hätten wir keine Geschichte. Die mit dem größten Bewußtsein, was man nicht erzählen darf, weil wir darin leben. Es tut mir also leid, ich kann es dir nicht sagen. Du müßtest ihn fragen, Wheeler. Du kennst ihn doch gut, er ist dein Fürsprecher gewesen, der, der dich eingeführt hat, er war dein Pate.«
    Sie gebrauchte auf natürliche Weise und häufig das ›wir‹ und das ›unser‹, ohne es zu merken, sie war schon viel länger Teil der Gruppe und fühlte sich als Erbin der ursprünglichen, jener Gruppe, die Menzies oder Ve-Ve Vivian oder Cowgill oder Hollis oder sogar Philby oder Churchill höchstpersönlich gegen die Nazis geschaffen hatten, Wheeler vermutete, daß letzterer die Idee geboren hatte, weil er der Schlaueste und Kühnste war und derjenige, der sich am wenigsten davor fürchtete, sich lächerlich zu machen.
    »Von wem hast du das gehört? Von Tupra? Erinnerst du dich, ob das, was passiert ist, mit seiner Frau, mit der von Wheeler, zu tun hatte? Sie hieß Valerie, kommt dir das bekannt vor?«
    »Ich weiß nicht, von wem ich das gehört habe, Jaime. Vielleicht von Bertie, das ist am wahrscheinlichsten, oder von Rendel oder von Mulryan oder womöglich von einer anderen Person an einem anderen Ort, ich erinnere mich nicht. Aber mehr weiß ich nicht, nur das, daß etwas Schwerwiegendes passiert ist, daß er in etwas versagt hat oder das glaubte und wohl kurz davor war, sich zurückzuziehen, alles aufzugeben. Es war vor langer Zeit.«
    Ich wußte nicht, ob sie die Wahrheit sagte oder ob sie sich nicht berechtigt fühlte, es mir zu erzählen, oder ob sie sich meinen endlosen Fragen entziehen und nicht weiter auf eine ferne, fremde und vielleicht ausgedehnte Episode eingehen wollte – die Nacht war fortgeschritten –, die sie im besten Fall aus zweiter Hand kannte und die in keinerlei Beziehung zu ihren gegenwärtigen Problemen stand, die sie zu mir nach Hause geführt hatten, nachdem sie es sich lange überlegt hatte und lange im Regen gegangen war: zu ihrem Vater und zu jenem Vanni Incompara und dem Bankier Vickers und den sprunghaften Schulden von 200 000 Pfund, ich bewundere die Fähigkeit mancher Leute, Summen anzuhäufen, über die sie nicht verfügen, es macht mich in gewisser Weise neidisch – es ist ein wahres Geschick, wenn nicht eine Gabe; auf jeden Fall eine heitere Mentalität –, ein nur theoretischer oder fiktiver, literarischer und filmischer Neid, die Stellvertreterposition von Pérez Nuix war in diesem Augenblick nicht zu beneiden. Jetzt tat sie mir zum ersten Mal leid (das Mitgefühl kommt immer ins Spiel), vielleicht, weil ihre Müdigkeit sie verkindlichte, oder es war der verhaltene Kummer, der ab und zu in den flüchtigen, lebhaften Augen und in den Mundwinkeln erschien, die sich an einem leichten, schüchternen Lächeln versuchten, um mir angenehm zu sein. Ich beschloß, daß es nun an der Zeit war, ihren Zweifel zu beenden: Sie hatte sich genügend bemüht, sie war mir lange durch die halbleere Stadt gefolgt und war dabei bis auf die Knochen naß geworden, sie hatte gegrübelt, ihren Fall dargestellt, sie hatte mir Unentschlossenheit und Zeit gewidmet und dann Entschlossenheit und noch mehr Zeit.
    »Ist gut, Patricia«, sagte ich und erklärte damit meine Serie von Fragen und Aufschüben für beendet. »Ich werde es versuchen, obwohl ich weiterhin glaube, daß Tupra sehen wird, was zu sehen ist, und es wird mehr sein als das, was ich wahrnehme. Aber ich

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