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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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schützen, ein vergebliches Unterfangen. Die unmittelbare Neugier war stärker als ich, und ich zögerte damit meine Antwort noch ein wenig hinaus. Und auch eine weitere Neugierde wollte ich noch befriedigen, die zwar mittelbarer, aber beständiger war.
    »Ja«, antwortete sie. »Sir Richard Dearlove. Er war etliche Jahre, bis vor nicht allzu langer Zeit, unser unsichtbarer oberster Chef, wußtest du das nicht? Der Chef des MI 6 , ›C‹ oder ›Mr. C‹.« Diesen Anfangsbuchstaben sprach sie englisch aus, ›Mr. Si‹ sozusagen. »Von ihm wurde nie ein aktuelles Foto veröffentlicht, das ist verboten, niemand hat ihn gesehen oder weiß etwas über sein Äußeres; nicht einmal jetzt, wo er nicht mehr im Amt ist. Also weiß keiner von uns, wie er aussieht, niemand würde ihn erkennen, wenn er ihm auf der Straße begegnete. Das ist ein großer Vorteil, nicht? Den hätte ich auch gerne.«
    »Heißt das, wir haben nie einen Bericht über ihn angefertigt? Ich meine, mit Hilfe von Videos, ich kann mir schon denken, daß man ihn nicht in Tupras Büro gebracht haben wird, um ihn von unserem Eisenbahnwagen, von unserer Kabine aus heimlich zu beobachten.« Ich merkte sofort, daß mir ›wir haben nie‹ herausgerutscht war, als betrachtete ich mich schon als einen Teil der Gruppe, und das seit vor meiner Ankunft. Ich war dabei, ein merkwürdiges, ganz und gar unfreiwilliges Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Aber in dem Augenblick zog ich es vor, mich nicht dabei aufzuhalten.
    »Wer weiß das schon«, sagte sie lustlos. »Frag Bertie, er hat von allen Videos, das habe ich dir schon gesagt.« Ich hatte den Eindruck, daß mein Hinauszögern oder meine Drückebergerei sie allmählich ungeduldig machte, noch hatte ich jenen Befehl oder jene Art Motto nicht gehört, › Don't linger or delay ‹, ›Halt dich nicht auf und warte nicht‹, und außerdem habe ich nie darauf gehört, weder später noch früher. Bestimmt wollte sie endlich wissen, woran sie sich halten konnte, und gehen. Zumindest, wenn meine endgültige Antwort ›nein‹ lautete, dann würde sie gehen, keine nächtliche Zeit mehr mit mir verschwenden, sich trollen mit ihrem zahmen Hund und wahrscheinlich mit einem Gefühl von Lächerlichkeit und einem augenblicklichen Groll oder sogar einer dauerhaften Kränkung. Wenn ich dagegen ›ja‹ sagte, würde sie vielleicht noch eine Weile bleiben, um ihre Erleichterung zu feiern, dachte ich, oder um mir weitere Anweisungen zu erteilen, das, um dessentwillen sie gekommen war, schon in der Tasche. Es mußte sie irritieren, wenn ich sie jetzt nach Sir Dearlove fragte, nach dem echten, oder auch nach sonstwem oder sonstwas. Wenn ich an diesem Punkt eine Klammer öffnete oder mir Schlenker ausdachte. Aber das würde sie ertragen müssen, noch immer war ich es, der das Gespräch führte und seinen Verlauf bestimmte, und sie konnte sich noch nicht erlauben, mich zu verärgern. Genau betrachtet, ist das die einzige Rechnung, die der Bittende aufmachen muß, wenn er sich erst einmal vorgewagt und gebeten hat (vorher ist das etwas anderes, vorher ja, da muß er abwägen, inwieweit es sich lohnt oder in seinem Interesse liegt, zu offenbaren, was ihm fehlt und was er nicht kann): Er muß liebenswürdig und geduldig und sogar salbungsvoll sein, sich an die Zeiten halten, die ihm vorgegeben werden, seine Schritte und seine Worte und seine Beharrlichkeit abmessen, bis er das Gewünschte erlangt hat. Außer er ist jemand so Bedeutendes, daß es schon eine Ehre, ein Privileg darstellt, ihm überhaupt einen Gefallen tun zu dürfen. Das war hier nicht der Fall, und so schlug sie einen anderen Ton an und fügte hinzu: »Aber nein, das glaube ich nicht, aber alles ist möglich. Ich nehme an, daß Bilder existieren, heutzutage gibt es sie von wem man will; und wenn nur einige wenige Zugang dazu haben, dann wäre es nicht weiter seltsam, wenn Bertie zu ihnen gehörte.«
    »Warum hast du gesagt, daß Wheeler es so beklagt hat, nicht unfehlbar zu sein? Was ist passiert, was ist ihm passiert? Worauf beziehst du dich?« Das war meine nachdrücklichere und tiefere Neugier.
    Ich bemerkte erneut ihren Verdruß, ihre angegriffenen Nerven, ihre schwankende Erschöpfung, die kam und ging. Ich konnte leicht ihren Widerwillen wecken oder sie aus dem Gleichgewicht bringen. Aber sie beherrschte sich ein weiteres Mal oder überwand sich, ihr Wille erlahmte nicht.
    »Ich weiß nicht, was ihm passiert ist, Jaime, das war vor langer Zeit, während des Zweiten

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