Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
werde sehen, was ich tun kann, ich werde versuchen, es zu machen.«
Das war der Grad an Bereitwilligkeit, der mich am wenigsten verpflichtete. Man konnte versagen und sich irren und nicht auf der Höhe seiner Absichten sein, sie selbst hatte es gesagt, und sie würde mir ein Scheitern nicht vorwerfen können. Nicht einmal enttäuscht sein, ich hatte sie gewarnt. So war ich freier, als wenn meine Antwort gelautet hätte: ›Das und das will ich dafür‹, vor allem, weil ich gar nicht erst das Risiko einging, zu wünschen oder zu erwarten, was auch immer ich von ihr gefordert hätte, und so eine Schlappe fürchten zu müssen. Mehr noch, wenn man nichts fürchtet, werden sich die Erfolgsaussichten zweifellos vergrößern, und es wird immer Zeit sein, um später die Hand zu heben und eine Belohnung einzufordern und zu sagen: ›Ich will das hier als Lohn‹. Natürlich kann der uns dann ohne Rücksicht oder Erklärungen oder Entschuldigungen verweigert werden: es gibt weder eine moralische Verpflichtung noch eine unausgesprochene Bindung oder Vereinbarung, und vielleicht bleibt sehr bald nicht einmal eine Spur von dem riesigen Gefallen, den man erwiesen hat, wie von dem Blutfleck und seinem Rand, nachdem man sein Verschwinden gesucht und ihn gründlich entfernt und abgerieben hat, oder von den zahllosen Verbrechen und edlen Taten, die verborgen geblieben sind, seit sie begangen wurden, oder mit denen die Jahrhunderte sich die Zeit vertreiben, um sie aufzulösen und schließlich zu löschen, ganz langsam, und zu bewirken, daß es sie nicht gegeben hat. Als fiele immer alles wie Schnee auf die Schultern, glatt und sanft, selbst das, was Getöse verursacht und Brände verbreitet. (Und von den Schultern schwebt er in die Luft oder schmilzt oder fällt auf den Boden. Und der Schnee hört immer auf, später.)
Von dem, was dann kam, blieb fast keine Spur, oder es bleibt eine schwankende Fährte in meiner mattesten Erinnerung und vielleicht auch in ihrer, aber wir werden es nie überprüfen, ich meine, unter uns, von Angesicht zu Angesicht, mit unseren gewechselten Worten. Es passierte, als wollten wir beide schon im Augenblick des Geschehens so tun, als passierte es nicht oder als stellten wir uns unwissend, als nähmen wir es nicht wahr und als zählte es nicht oder als verschwiegen wir es bis zu dem Punkt, daß man es später würde leugnen können, voreinander und vor den übrigen, wenn dem einen die Zunge durchging oder der andere redete und renommierte, und sogar ein jeder vor sich selbst, als wüßten wir beide, daß nicht vollends existieren kann, was nicht explizit bescheinigt oder anerkannt ist oder niemals erwähnt wird; das, was gewissermaßen im Verborgenen oder hinter dem Rücken seiner Urheber begangen wird oder ohne ihre volle Zustimmung oder vor ihrem schläfrigen Bewußtsein: was wir tun, während wir uns sagen, daß wir es nicht tun, was sich ereignet, während wir uns einreden, daß es sich nicht ereignet, das ist nicht so seltsam, wie es klingt oder scheint, mehr noch, es passiert die ganze Zeit und beunruhigt uns kaum und läßt uns auch nicht an unserem Verstand zweifeln. Wir reden uns ein, daß wir einen bestimmten unwürdigen oder bösen Gedanken nicht gehabt haben, daß wir diese Frau nicht begehrt oder jenen Tod nicht gewünscht haben – den Tod keines Feindes und keines Ehemannes und keines Freundes –, daß wir keine vorübergehende Verachtung oder Abneigung gegenüber dem empfunden haben, den wir am meisten verehrten oder dem wir die größte Dankbarkeit schuldeten, und keinen Neid auf unsere lästigen Kinder, die weiterleben werden, wenn wir nicht mehr da sind, und sich alles aneignen und eilig unseren Platz einnehmen; daß wir weder intrigiert noch verraten noch geheime Pläne geschmiedet haben, daß wir niemandes Verderben gesucht haben, wo wir es doch in etlichen Fällen mit wahrem Eifer angestrebt haben, daß wir uns zu nichts versucht gesehen haben, für das wir uns schämen müßten; daß wir nicht in böser Absicht gehandelt haben, als wir jemandem etwas Schädliches erzählten, sondern um ihm Anlaß zu geben, sich zu verteidigen – wir führen das ins Feld, und schon sind wir tugendhaft, mildtätig – und sich so seiner Unschuld zu begeben und zu begreifen, mit wem er es da zu tun hatte; aber auch, und das ist noch außergewöhnlicher, weil es die Tatsachen betrifft und nicht nur den trügerischen Geist, daß wir nicht geflohen sind, wenn wir sehr wohl davongerannt sind und alles
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