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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Aufnahme das Problem, obwohl sie so deutlich war, daß ich die Parteigröße erkannte, das heißt, ich meinte sie zuvor im Fernsehen, im Parlament oder in den Nachrichten gesehen zu haben. Ich erinnerte mich sogar an ihre barsche Stimme, oder sie klang eher wie ein Haarfön, eine dieser Personen, die, auch wenn sie es wollten, nicht ruhig reden oder die winzigste Pause machen können oder schlicht unfähig dazu sind, eine Qual für ihre nähere Umgebung. Zum Glück hatte diese Aufnahme keinen Ton, andernfalls wären uns angesichts ihrer Gesichtsverzerrungen, die von großer, doppelter Verzückung über die gleichzeitigen Vorstöße des hinteren und vorderen Typen zeugten – oder über die ungleichmäßigen, sie waren mangelhaft koordiniert und bisweilen schlecht ineinandergefügt, der Kontakt riß ab –, ihre Schreie wie eine Sturmböe oder eine Säge erschienen. Die beiden Typen sahen wie Beamte aus, sofern ihre knappe Bekleidung Rückschlüsse darauf zuließ, keiner war sehr jung oder sehr schlank, und einer von ihnen – der nur den Hosenschlitz aufhatte, eher ein Zeichen von Trägheit als von Dringlichkeit – trug auf dem nackten Oberkörper sehr straffe Hosenträger, die ihm etwas Unstimmiges gaben, als wäre er eine unmögliche Mischung aus Büroangestelltem und Fleischer. Was die Frau betraf, so mochte sie um die vierzig sein, sie hatte ihrerseits ihren Rock anbehalten, nunmehr ein bloßer zerknitterter Gürtel, und war nicht sehr attraktiv, trotz ihrer bemerkenswerten Oberweite, keine der entblößten Brüste operiert. Sie konnten in einem Hotelzimmer sein oder in einem Büro, der schmale Bildausschnitt trug nicht zur Klärung bei, die Kamera war nur auf die Personen gerichtet, die es dort miteinander trieben, die beiden Burschen waren wirklich waschechte ›Gebrydgumas‹ oder wurden es hier und jetzt. Natürlich sah es aus wie ein Pornofilm, wie einer mit niedrigem Budget oder wie ein Homemovie mit Laienschauspielern. Wer diese Szene gedreht hatte und wie, war natürlich ein Rätsel, aber heute ist jeder dazu in der Lage, sogar mit einem Handy und selbst ohne anwesend zu sein, aus der Ferne, und so ist niemand frei davon, in den intimsten oder zügellosesten Situationen eingefangen zu werden.
    Tupra beschleunigte das Video nach einer Minute oder weniger, und ich dankte es ihm, es lohnte sich nicht, diese ganze Anstrengung für ein Ende ohne Überraschungen zu betrachten. Ich konnte bei der Parteigröße zum Abschluß ihres Sandwichs noch einen Ausdruck zufriedener Verwirrung erkennen, als sagte sie sich: ›Wahnsinn, wie konnte ich so etwas bringen. Ich werde es erneut probieren müssen, um zu sehen, ob ich es so gefunden habe, wie ich glaube.‹ Vielleicht war es ihr erster Dreier, ein echtes Wagnis. Mein Chef kehrte nun wieder zur normalen Geschwindigkeit zurück, um gleich zur zweiten Episode überzugehen, dieses Mal mit Ton, sie zeigte zwei bekannte Schauspieler und eine dritte, mir unbekannte Person, die unter haltlosem Gelächter Unsinn von sich gaben, während sie in einem Wohnzimmer, auf dem Sofa, Kokain snifften, die fertigen Linien auf dem niedrigen Tisch, dick, wenn nicht riesig, sie machten sich darüber her, als nähmen sie Schlucke aus einem Glas.
    »Den da kenne ich nicht«, sagte ich und zeigte auf den, der rechts saß, und gab Tupra damit zu verstehen, daß ich die beiden jugendlichen Stars erkannt hatte.
    »Ein Mitglied der Königsfamilie. Sehr weit hinten in der Thronfolge, ganz und gar zweitrangig. Es hätte uns wunderbar gepaßt, wenn er prominenter gewesen wäre, näher dran.« Und er spulte erneut vor, die Szene war monoton, nichts als kindisches Gelächter und das weiße Festmahl.
    Die Äußerung gab mir flüchtig zu denken, ich fragte mich, warum es ihnen wohl wie gerufen kam (ich nahm jenes ›uns‹ eher für den MI 6 oder für die Gesamtheit der Geheimdienste als für unsere Gruppe), daß jemand Drogen nahm oder ein Ehebrecher war oder korrupt oder kriminell. Sie hätten sich freuen sollen, daß die nächsten Verwandten der Königin sich nicht so mit Kokain zudröhnten wie jenes Trio.
    »Ich verstehe das nicht«, gab ich meinem Unverständnis Ausdruck. »Warum hätte das gut für euch sein sollen?« Ich hielt es für richtig, mich nicht einzuschließen.
    Tupra hielt das Bild an, um mir zu antworten.
    »Was für eine naive Frage, Jack, manchmal bist du eine Enttäuschung. Für uns ist das immer gut, bei jedem, der Bedeutung, Gewicht, Entscheidungskompetenz, Namen, Einfluß

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