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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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seiner Eigenschaft als Staatsmann, als ich ihn mit der Deutung von Incompara verraten hatte, aber das half mir nicht, meine Schuld als bereinigt zu empfinden. Zweifellos lag der Grund dafür, daß ich ihm gegenüber so nachgiebig war – ich konnte immer gehen – oder so rücksichtsvoll oder so wenig streng, das glaubte ich jedenfalls, in jenem dauerhaften Unbehagen und jenem absichtlichen Fehler von mir, ich war noch nicht sicher, ob er gemerkt hatte, wie viel Absicht im Spiel gewesen war. Und auch darin, daß wir Sympathie füreinander empfanden, zu meinem Leidwesen bisweilen, wer weiß, ob auch zu seinem, die junge Pérez Nuix war zu optimistisch. An jenem Abend hatte Tupra die meine auf die Probe gestellt und sollte es mit der Filmvorführung noch weiter tun.
    Er hörte auf zu sprechen und drückte wieder den Startknopf. Die vorherige Szene endete sofort, auf dem Bildschirm erschien eine neue, und mit ihr begann das Gift in mich einzudringen. Zwei Kerle in T-Shirts und Tarnhosen und kurzen Stiefeln, vermutlich Soldaten, hatten einen Dritten, der eine Kapuze über dem Kopf trug, auf einem Schemel sitzen, an Händen und Füßen gefesselt. Es gab Ton, aber das einzige, was man hörte, war ein übertriebenes Keuchen, das des Gefangenen, als wäre er gerade fünfhundert Meter gelaufen oder hätte einen Angst- oder Panikanfall. Sie war beklemmend, diese heftige, rasche, gleichsam nicht zu besänftigende Atmung, es war gut möglich, daß sie aus der Angst rührte: Gefesselt zu sein und nichts zu sehen, muß jede künftige Sekunde zum Fürchten erscheinen lassen, und die Sekunden lassen einem keine Ruhepausen. Eine Lichtquelle, deren Ursprung ober- und außerhalb des Kamerawinkels blieb – sicher eine Schirmlampe, die von der Decke hing – beleuchtete die Männer oder besser gesagt die beiden in Tarnkleidung nicht die ganze Zeit, sie drehten Runden um den Verhüllten und traten auf ihrem Weg in den Schatten. Außerhalb des Lichtkegels, im Hintergrund, befanden sich noch zwei oder drei weitere Personen, die mit verschränkten Armen nebeneinander an einer Wand saßen, deren Gesichter oder Körper jedoch kaum zu erkennen waren, da sie zu sehr im Halbdunkel lagen. Die Soldaten hörten mit ihren Runden auf und zwangen den Gefangenen grob, aufzustehen und sich auf den Schemel zu stellen, sie führten ihn, damit er hinaufkam. Ich sah sie mit einem Seil hantieren, und obwohl der Kopf des Kapuzenträgers jetzt nicht mehr im Bild war – die Einstellung blieb unverändert, die Kamera bewegte sich nicht –, ließ alles darauf schließen, daß sie es ihm um den Hals gelegt hatten und daß es an einem Balken oder an irgendeiner horizontalen, weit oben angebrachten Stange befestigt war, denn einer der Männer im T-Shirt gab dem Schemel einen Fußtritt, und das Opfer blieb in der Luft hängen, ohne Fuß zu fassen, wenn auch nahe über dem Boden, das war eine Hinrichtung durch Erhängen.
    Ich erschrak, vielleicht keuchte ich unerwartet, ich wandte mich zu Tupra um und sagte beunruhigt:
    »Was ist das denn!«
    Bei seinem Fall mußte der Gefangene die unsichtbare Lampe getroffen oder besser gestreift haben, denn der Lichtkegel schwankte oder pendelte einige Augenblicke lang leicht hin und her.
    »Dreh dich nicht weg, schau weiter hin, es ist noch nicht zu Ende«, antwortete Tupra gebieterisch. Und er bohrte mir die starren Fingerspitzen in den Ellbogen, als wäre ich ein ungehorsames Kind.
    Als ich die Augen erneut auf den Fernseher richtete, sah ich noch, wie die Füße des Erhängten auf der Suche nach Halt zappelten, während sein Keuchen einer Art kehligem Grunzen wich, aber es war etwas, das keinen Fortgang nahm, es ging nicht, etwas Ersticktes. Die Füße dagegen fanden sogleich Halt: Einer der Männer in Tarnkleidung umfaßte kraftvoll beide Beine und hob sie so weit wie möglich hoch, und der andere griff nach dem Schemel und stellte ihn abermals unter die Schuhsohlen des Gefangenen. Als er fest darauf stand, nahmen sie ihm das Seil ab und ließen ihn auf den Boden gleiten. Sie stießen ihn auf den Sitz, und beide Soldaten nahmen wieder ihre Rundgänge um den Gefangenen auf, der jetzt hustete, er mußte starken Blutandrang haben. Die kurzen Stiefel machten mehr Lärm bei dieser Runde, als gingen ihre Besitzer im Gleichschritt und träten mit Absicht so heftig auf, das heißt, um bedrohlichen Lärm zu machen, das Geräusch ließ an den Trommelwirbel denken, der im Zirkus eine unmittelbar bevorstehende wachsende Gefahr

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