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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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davon und erwähne es nie, nicht einmal mir gegenüber, wenn dieser Abend vorbei ist, denn schon morgen werde ich es dir nicht gezeigt haben. Es sind Aufnahmen, die wir aufbewahren für den Fall, daß sie eines Tages gebraucht werden.« ›Für den Fall‹, dachte ich, ›das ist anscheinend das Motto unserer Arbeit.‹ »Darauf sind beschämende oder verfängliche Tatsachen zu sehen, auch nicht angezeigte oder verfolgte Verbrechen, die von Personen eines gewissen Kalibers begangen wurden, gegen die man keine Maßnahmen oder Schritte eingeleitet hat, weil es nicht angebracht war oder ist oder weil der Moment dafür noch nicht gekommen ist oder weil man damit wenig gewinnen würde. Es ist einträglicher, sie zu haben, sie aufzubewahren und ihren künftigen Nutzen vorauszusehen, für manche könnte man im Austausch viel bekommen. Dafür, daß sie hier begraben bleiben und nie von jemandem gesehen werden, versteht sich, außer von uns. Bei anderen haben wir schon viel bekommen, wir haben guten Profit daraus geschlagen, und außerdem erschöpft sich ihr möglicher Nutzen nie, weil wir das Material nie zerstören oder übergeben, wir zeigen es nur gelegentlich denen, die darin erscheinen, den Betroffenen, wenn sie der Sache nicht trauen oder nicht glauben, daß solche Aufnahmen existieren, und sich vergewissern und sie sehen wollen. Sie müssen nicht hierher kommen, keine Sorge (hierher sind nur wenige Personen gekommen), heute kann man leicht Kopien herstellen, sie werden ihnen sogar auf dem Handy gezeigt oder ihnen geschickt. Diese DVD s sind also ein Schatz: Sie können überzeugen, abschrecken, bedeutende Summen einbringen, können einen unbekömmlichen Kandidaten veranlassen, sich zurückzuziehen, Leute zum Schweigen bringen, Konzessionen und Vereinbarungen bewirken, Machenschaften und Konspirationen zum Scheitern bringen, Konflikte hinausschieben oder mildern, Brände verursachen, Leben retten. Ihr Inhalt wird dir nicht gefallen, aber verachte sie nicht und verurteile sie nicht. Mach dir bewußt, was sie wert sind und wofür sie diesen Wert haben. Und welchen Dienst sie erweisen, das Gute, das sie bisweilen für das Land tun.« Er hatte den gleichen Ausdruck benutzt, kaum daß wir uns in Oxford bei Wheeler, während des kalten Abendessens, kennengelernt hatten, als ich ihn nach seiner Tätigkeit fragte und er ausweichend geantwortet hatte: ›Verhandeln war seit jeher meine größte Stärke, in verschiedenen Bereichen und Zusammenhängen. Auch im Dienst meines Landes, man muß das versuchen, wenn man kann, nicht?, auch wenn der Dienst zweitrangig ist und man zuallererst auf den eigenen Nutzen bedacht ist.‹ Jetzt hatte er es wieder gesagt, ›das Land‹, das Wort country , das in meiner Sprache auch ›Vaterland‹ bedeuten konnte, aber in ihm ist das aufgrund unserer Geschichte und Präzedenzfälle eine unangenehme und gefährliche Vokabel geworden, die vieles, nur Negatives, über diejenigen offenbart, die sie benutzen; ihr englisches Äquivalent ist zumindest weniger emotional und pompös, eine unvollkommene Entsprechung. ›Das Land‹, das Land, es war merkwürdig. Tupra hatte wieder einmal vergessen, daß seines und meines nicht dasselbe waren, daß ich kein Brite war, sondern Spanier, wahrscheinlich ein Scheißspanier. Ich war noch nie so nahe daran gewesen zu glauben, daß ich sein Vertrauen gewonnen hatte, ohne daß er es wahrgenommen hätte, das heißt, ohne daß dabei eine Entscheidung, es mir zu schenken, zum Tragen gekommen wäre: als er spät in jener Nacht in seinem Haus, das fast niemand aufsuchte, vor dem noch leeren Bildschirm, kurz bevor er mir seine vertraulichen Bilder zeigte, aus dem Blick verlor, daß ich ihm diente, so lange das eben der Fall war, und für ein Gehalt, aber nicht seinem › country‹ . Auch nicht dem meinen natürlich. Was ihn betraf, so ließ sich unmöglich erahnen, inwieweit er dem seinen zweitrangige oder erstrangige Dienste erwies oder ob er immer auf den eigenen Nutzen bedacht war. Vielleicht war das in seinem Kopf längst ununterscheidbar. Er fügte hinzu: »Mach dich bereit, fangen wir an. Und kein Wort zu jemandem, ist das klar?«
    Damit drückte er den Startknopf auf der Fernbedienung.
    Was ich nun sah, sollte man nicht erzählen, und ich darf es nur stückweise tun. Zum Teil, weil er mir einige Szenen im Schnelldurchlauf zeigte, wie er mir angekündigt hatte, und ich sie zum Glück nur halb mitbekam, aber immer genügend und mehr, als ich gewollt hätte; zum

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