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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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überhaupt nicht unmöglich. Aber nein«, antwortete er in meinem Rücken, dieses Mal hatte ich mich nicht zu ihm umgesehen, ein Glück, daß es so war, sollte ich sogleich denken. »Hier ist die relevante Person der Alte, den die Szene mit Scham erfüllen würde. Du mußt dir klarmachen, daß es Leute gibt, die zu verbergen wünschen, daß sie Opfer gewesen sind, ebenso oder mehr, als wären sie Henker gewesen. Leute, die zu sehr viel bereit sind, damit nicht bekannt wird, was ihnen widerfahren ist, was man ihnen Demütigendes und Barbarisches angetan hat, und zu mehr noch, damit es niemand sieht. Zum Beispiel damit es ihre Lieben nicht sehen oder erfahren, die untröstlich leiden und den Anblick nie würden vergessen können, stell dir vor, dieser Mann wäre dein Vater. Doch seine Bedeutung unterscheidet sich von der der anderen, die du gesehen hast, sie ist von anderer Art. Er besitzt kaum Macht oder Einfluß, zumindest nicht direkt. Aber du weißt nicht, wer das ist, oder etwa doch?« Und ohne mich überhaupt ›nein‹ antworten zu lassen, sagte er es mir. »Das ist Mr. Pérez-Nuix, der Vater von Patricia.« Und er sprach den Doppelnamen englisch aus, es klang ungefähr, als hätte er in seiner Sprache ›Pears-Nukes‹ gesagt.
    Und in diesem Augenblick dachte ich, daß es besser war, daß er mein Gesicht nicht sah. Ich spürte da und am Hals eine jähe, umfassende Hitze und gleich darauf am ganzen Körper, wie in der Schule, wenn sie einen in flagranti erwischten und man nicht die Möglichkeit für Ausflüchte oder Flunkereien hatte. ›Ich habe ihn nicht getäuscht‹, dachte ich sofort, ›und er wird sicher wissen, daß ich es bewußt versucht habe. Daß ich ihn über Incompara angelogen habe, womöglich hat er es von Anfang an gemerkt, und alles war wirkungslos, unnütz, er hat nicht angebissen, und Incompara hat nichts von dem bekommen, was er wollte, und so wurden die Schulden nicht beglichen oder man hat sie von dem Mann mit dieser brutalen Prügelei eingetrieben, vom wem gefilmt, sie haben den Vater wohl in diesen Billardsalon bestellt, um die Sache zu regeln, eine Falle, und höchstwahrscheinlich wußte Reresby das von vorneherein, wußte, was ihn wirklich erwartete, und da hat er eine verborgene Kamera dort installieren lassen oder den Geschäftsführer geschmiert oder einen fünften Ganoven, der nicht im Bild erscheint, weil er nicht an der Prügelei beteiligt war und sie nur leitete oder ihr beiwohnte, um später über ihre Durchführung zu informieren, und nebenbei hat er sie mit seinem Handy oder seiner Minikamera aufgenommen.‹ Die Gedanken überstürzten sich in mir, auch eine intensive Scham mit diversen Verzweigungen, oder es waren verschiedene, wenn auch gleichzeitige Schamgefühle. Aber so leicht durfte ich mich nicht entdecken lassen, nach einer solchen Enthüllung wäre Schweigen keine normale Reaktion gewesen, damit hätte ich zugegeben, daß ich über die Sache oder einen Teil, über etwas auf dem laufenden war.
    »Und was hat es damit auf sich?« fragte ich nervös. Das war nicht verdächtig, die Nervosität konnte durch die Grausamkeit bedingt sein, die ich gerade betrachtet hatte, zum Glück ohne Ton. »Warum? Was macht er, was hat er diesen Typen getan?«
    »Er hatte hohe Spielschulden, und du weißt ja, wie das dann manchmal läuft. Da gibt es kein Pardon, je nachdem, bei wem du sie hast.«
    ›Er verstellt sich‹, dachte ich, ›er erzählt es mir, als wüßte ich es nicht, wo er doch annehmen muß, daß ich einiges weiß. Er stellt mich auf die Probe. Er will sehen, ob ich zusammenbreche und gestehe oder ob ich bis zum Schluß den Unwissenden spiele und mit nichts herausrücke. Er wird sehen wollen, wie ich mich verhalte, wenn man mich bei einem Fehler ertappt.‹
    »Von wann ist dieses Video, wann war das?«
    »Es ist relativ neu«, antwortete er. »Vielleicht zwei Monate oder weniger.«
    »Weiß Patricia das? Ich meine, hat sie das gesehen?«
    Sie hatte mir nichts erzählt, vielleicht wegen des völligen Scheiterns meiner Gefälligkeit oder meiner Verstellung: Warum sollte sie mir die schlechte Nachricht mitteilen, die mich letztendlich nicht betraf, oder mir das Gefühl geben, verantwortlich zu sein, warum sollte sie mich noch tiefer hineinziehen. Sie hatte mich auch nicht über das Gegenteil informiert, das heißt, daß alles gut gelaufen und die Schulden beglichen wären, unter anderem dank meiner guten Dienste. Aber ich war nie auf den Gedanken gekommen, daß sie das tun

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