Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
welche auch immer, an die bloße Vorstellung und mehr noch an die Frauen von Freunden, und den Unbekannten über ihre Männer oder Freunde Botschaften zu schicken. Er denkt, daß sie auf diese Weise von ihm erfahren, daß ihnen zumindest seine Existenz bekannt wird und daß sie Neugier empfinden und sich eine Vorstellung von ihm machen können, und so gibt er sich einem imaginären und gegenstandslosen Kokettieren hin.
»Ich habe dir doch schon gesagt, daß niemand auf mich wartet oder Schlüssel von mir hat, Bertram.« Ich trank mein Glas mit einem Schluck aus, so als wollte ich etwas abschließen. »Na los, mach schon, was soll ich noch sehen.« Und ich wies mit dem Kinn auf den Bildschirm.
Er drückte erneut den Startknopf und betätigte gleich darauf den Schnelldurchlauf, aber dieses Mal nicht in der Höchstgeschwindigkeit, sondern nur im zweitschnellsten Tempo, weshalb ich die Bilder noch mit relativer Deutlichkeit sehen konnte, wenn auch ohne Ton, sie waren alle mehr oder weniger unangenehm, bei den schlimmsten sickerte das Gift weiter ein, das eine oder andere war langweilig oder bestenfalls schäbig, zwei grauhaarige Typen mit rötlicher Gesichtsfarbe lagen auf einem Bett und snifften in Unterhosen Kokain (wieviel Material gab ihnen die Droge, vielleicht will deshalb keine Regierung sie legalisieren, das hieße, die Zahl der Straftaten zu vermindern), sie waren nicht interessant und hinterließen überhaupt keinen Eindruck, ich enthielt mich der Frage, wer sie waren, es mochten bekannte oder bedeutende Typen sein, wer weiß ob Einheimische oder aus Kanada oder Australien, vielleicht Polizeibeamte, einer von ihnen trug eine unstimmige, schief sitzende marineblaue Plateaumütze; ich war kurz davor, mir selbst einen Streich zu spielen, einer scherzhaften Neugier nachzugeben, als auf dem Bildschirm ein nationalistischer spanischer Politiker erschien, den wir alle bis zum Überdruß gesehen haben (na ja, gegen das ›spanisch‹ hätte er etwas einzuwenden gehabt), um sich in einem minutiösen Prozeß vor einem Ganzkörperspiegel als Frau oder besser gesagt als altmodische Hure zu verkleiden, es kostete ihn gewaltige Mühe, die Strümpfe gerade hinzubekommen, sie verrutschten die ganze Zeit und legten sich in Falten, und dann zog er sie wieder aus und fing von vorne an, er zerriß zwei Paar und warf sie mit Bedauern weg, er kämpfte auch mit einer Art Bauchbinde, der Anblick war komisch und erbärmlich, in meinem Land hätte man ein hübsches Sümmchen dafür bezahlt, ich fühlt mich versucht, aber ich hielt mich zurück und schaffte es, Tupra nicht darum zu bitten, daß er mir die Szene mit Normalgeschwindigkeit vorspielte, ich wollte jetzt so schnell wie möglich zum Schluß kommen; vier finstere Typen in einem Billardsalon verpaßten einem armen Mann in fortgeschrittenem Alter und von vornehmem Aussehen eine Tracht Prügel, sie warfen ihn, lang wie er war, auf den grünen Filzbezug und schlugen mit den Queues auf ihn ein, die sie ganz hinten am dünnen Ende gefaßt hielten, während sie ihn mit dem dicken Ende traktierten, sie legten ihn auf den Rücken, und mit dem ersten Schlag zerbrachen sie ihm die Brille, sie bearbeiteten weiter sein Gesicht, Glassplitter flogen und drangen ihm bei mit Sicherheit jedem neuen Schlag unter die Haut, danach malträtierten sie ihn am ganzen Körper, die Rippen und die Hüften und die Beine und die Hoden, manchmal waren sie darauf aus, sie hielten die Queues senkrecht und zielten darauf, zweifellos brachen sie ihm die Kniescheiben und die Schienbeine, der Mann wußte nicht, wie er sich bedecken sollte, auch die Hände mußten sie ihm zerschmettert haben, mit denen er vergeblich versuchte, sich zu schützen, vier sind viele Stöcke, die sich heben und senken und sich wieder heben und immer wieder senken, wie Schwerter. Hier konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen:
»Du wirst mir doch nicht erzählen, daß einer dieser Rohlinge Bedeutung erlangt hat, daß er jetzt irgendein Amt ausübt. Ich kann das nicht glauben, bei diesen Visagen.«
Tupra hielt sofort das Bild an, er würde keine Brutalitäten überspringen, ohne daß ich sie gesehen hätte, und wäre es auch nur im Schnelldurchlauf. Das Bild des armen Mannes erstarrte, als seine Peiniger sich bereits zurückgezogen hatten; er lag reglos auf dem Tisch und blutete aus der Nase und den Augenbrauen, vielleicht aus den Wangen und aus anderen Öffnungen, ein geschwollener Haufen Fleisch voller Platzwunden.
»Das wäre
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