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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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hielt ich seinen Tod für ausgemacht, was für panische Angst sie vor ihm hatte oder wie sehr sie ihn hassen mußte, das Kollier schwang hin und her, der Rock rutschte hoch, seltsamerweise trug sie trotz der herbstlichen Kleidung keine Strümpfe, vielleicht hatte sie sie vorher ausgezogen, vielleicht auch den Slip, um zu vögeln, ohne sich entkleiden zu müssen, den Slip nicht notwendigerweise, oder er ihr, um sie zu vergewaltigen, er hätte sie gern so auf sich oder unter sich gehabt mit gespreizten Beinen, wer mochte sie damals gewesen sein, wer jetzt und wer das Opfer, ich sagte weiterhin kein Wort, die Aufnahme endete abrupt, die Frau mit dem erhobenen Hammer wie Tupra mit seinem Schwert, sie hatte noch nicht aufgehört mit ihren Schlägen, ich konnte nicht umhin, mich an die seltsame Schauspielerin Constance Towers in jenem alten Film zu erinnern , Der nackte Kuss war sein Titel, in Spanien Una luz en el hampa , ziemlich lächerlich, sie tat in der ersten Szene etwas Ähnliches, aber nicht mit einem Hammer, sondern mit ihrem spitzen Schuh oder mit einem Telefon, und mitten bei ihrem Verbrechen fiel ihr die Haarmähne herunter, sie erwies sich als blonde Perücke, und sie stand kahl vor den Zuschauern da, vielleicht war das der größte Schock, wie vermeintlich im Fall von Jayne Mansfield, und mir ging auch das gefürchtete Bild von Luisa durch den Kopf, das ich in meinen schlimmsten oder verstörtesten Augenblicken herbeiphantasiert hatte, angegriffen von dem, der mich ersetzt hatte, ein hinterhältiger Mann, der sie weder Tag noch Nacht atmen läßt und sie völlig isolieren wird und der vielleicht in einer regnerischen, weltabgeschiedenen Nacht seine großen Hände um ihren Hals schließt, während die Kinder – meine Kinder – aus einer Ecke zusehen, an die Wand gepreßt, als wollten sie, daß sie nachgab und verschwand, und mit ihr der böse Anblick und das unterdrückte Weinen, das sich Bahn brechen möchte, aber es nicht schafft, der böse Traum und das andauernde, seltsame Geräusch, das ihre Mutter im Sterben von sich gibt, hoffentlich hat sie einen Hammer zur Hand, damit nicht sie es ist, die stirbt, sondern der hinterhältige Mann, der despotische und besitzergreifende, der bei den ersten Schritten nicht so ist, sondern zuvorkommend, respektvoll und sogar behutsam, der nie über Nacht bleibt, nicht einmal, wenn man ihn darum anfleht, so wie ich, und sich von Kopf bis Fuß wieder anzieht trotz der späten Stunde und der Mattigkeit und der Kälte, und beim Hinausgehen wieder seine Handschuhe trägt, dieser Mann, der Tupra so sehr gleicht.
    Mag sein, daß ich auch wegen meiner Niedergeschlagenheit kein Wort sagte, in dem Maße, in dem die Szenen aufeinander folgten, fühlte ich mich geduckter, verzagter, gelähmter (›Träume, träume weiter, von Tod und blutigen Taten‹), so als würde die Seite der Welt, die man mir zeigte, die anderen, gewohnten, vertreiben, nicht nur die heiteren und fröhlichen, sondern auch die banalen und neutralen, die gleichgültigen, die routinehaften, die – vor allem letztere – unsere Rettung und unsere Essenz sind. So wirkt das Gift, es sickert ein und infiziert alles. Die Niedergeschlagenheit beruhte jedoch auf Anhäufung, denn mir wurde gleichzeitig klar, daß trotz allem nichts von dem, was da an mir vorbeizog, eine so starke und schädliche Wirkung auf mich hatte wie das, was ohne die Vermittlung eines Bildschirms vor meinen Augen geschehen war, auf der Behindertentoilette. Die Gewalt in unmittelbarer Nähe, die man einatmet und die befleckt, ist nicht die Gewalt, die man in Bildern betrachtet, so sehr man auch weiß, daß sie real sind, nicht fiktiv, das Fernsehen besudelt nicht, es erschreckt uns nur. Und ab und zu kam mir wieder Tupras Frage in den Sinn, die er mir im Auto gestellt hatte, bevor wir losgefahren waren, und die ihn zu dem Entschluß veranlaßt hatte, mich mit zu sich nach Hause zu nehmen, ›Wieso kann man nicht einfach so herumprügeln und töten. Das hast du gesagt.‹ Was für ein Blödsinn, es gibt niemanden, der das nicht wüßte, jeder kann diese Frage beantworten. Doch im Licht dessen, was er mir zeigte (›Mögen diese Visionen auf deiner Seele lasten; es falle dein Schwert ohne Schneide, und dein Schild rolle fort; nimm ab den Helm, laß fallen deine Lanze‹), fand ich noch immer keine anderen Antworten als die dummen und kindischen, die ererbten und niemals ausreichenden, die allseits bekannten und leeren, die, die alle gelernt haben und

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