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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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bereithalten, um sie von sich zu geben, ohne ihnen einen eigenen Gedanken gewidmet zu haben, nicht einmal den armseligsten und zerstreutesten, und ohne sie in Frage gestellt zu haben: weil es nicht gut ist, weil die Moral es verurteilt, weil das Gesetz es verbietet, weil man im Gefängnis landen kann oder andernorts auf dem Schafott, weil man niemandem zufügen darf, was du nicht willst, das man dir tu, weil es ein Verbrechen ist, weil es Mitleid gibt, weil es Sünde ist, weil es schlecht ist, weil das Leben heilig ist, weil es nicht wieder gutzumachen und nicht zu ändern ist und das Getane nicht ungeschehen gemacht werden kann. Aber es war sicher, daß Tupra mir die Frage über all das hinaus gestellt hatte.
    Ich sah mehr aufblitzende Bilder, vielleicht sollte ich sie nicht erzählen, ich sah schlimmere, konfusere, einander fast überlagernde, Reresby erhöhte die Durchlaufgeschwindigkeit, auch er mußte schlafen, womöglich wurde er langsam müde, obwohl er sehr wach klang, vielleicht schloß er sich nun endlich meinen Wünschen an, so rasch wie möglich zum Ende zu kommen, Schluß zu machen mit dem Fieber, meinem Schmerz, dem Wort, dem Tanz, dem Bild, dem Gift, dem Traum, wenigstens für jenen Tag oder jene überlange Nacht, die Dinge, die kompromittieren oder schuldig machen, sind letztendlich nicht so zahlreich, ausgefallener Sex, gewaltsamer Sex, ehebrecherischer oder bloß lächerlicher Sex, Prügeleien, Drogenkonsum, etwas Folter, Grausamkeit und Sadismus, Korruption, Bestechung, Betrug, Denunziation und Schulden, gescheiterte Verschwörungen und aufgedeckter Verrat, improvisierte Morde und geplante Tötungen, viel mehr ist da nicht, fast alles bewegt sich in diesem Rahmen, und da sind auch noch die Massaker, ich sah einen weiteren Fall, dieses Mal eine Massenerschießung von Zivilpersonen in einem afrikanischen Land, etwa zwanzig Frauen, Männer, Kinder und Alte fielen in beschleunigtem Tempo, als wären sie Dominosteine, und so wirkte es nicht so schwerwiegend noch überhaupt wahr, ausgeführt von schwarzen Soldaten oder Schützen, aber unter dem Befehl eines weißen Offiziers in Uniform, ich weiß nicht, ob vorschriftsmäßig oder mit Phantasieelementen, vielleicht war er ein Söldner, der sich später wieder in seine Armee eingegliedert hatte, es hat Engländer, Südafrikaner und Belgier gegeben, die zwischen beidem gependelt sind, ich glaube, auch Franzosen. Wenn es so war, dann hatte Tupra diesen europäischen Militär gut am Wickel, bestimmt hatte er ihn aufsteigen, Karriere machen lassen, sicher hatte er ihn nicht über die Existenz der Aufnahme informiert oder ihn angezeigt, wahrscheinlich wartete er darauf, ihn ganz weit oben zu sehen, in seinem Land, in der Nato, um ihn dann um einen gewaltigen Gefallen zu bitten oder besser gesagt, ihn zu zwingen, ihm einen solchen zu erweisen, mit der Kraft des Bildes.
    Und schließlich hielt er an, ich meine, er kehrte für eine bestimmte Sequenz zur normalen Geschwindigkeit zurück und damit auch zum Ton, er mußte ein wenig zurückspulen, um sie von Anfang an zu erwischen.
    »Da ist es«, sagte er. »Ich möchte, daß du das noch siehst, bevor du nach Hause gehst. Paß gut auf, und wenn du im Bett liegst, denk an mich und denk daran.«
    Wie alle übrigen, war es eine kurze Szene, darin hatte er nicht gelogen, obwohl der Besuch ewig gedauert hatte, fast alle befanden sich auf dieser DVD , so gut wie ohne Einleitungen, es interessierte die Brutalität, das Verbrechen oder die Farce, nicht, was vorher geschehen oder nachher gekommen sein mochte, sondern nur das, was nutzbar gemacht werden konnte, um den Gefilmten zu erpressen. Man sah drei Männer in einer Art Schuppen, im Hintergrund war der Schweif irgendeines Tieres zu erahnen, er peitschte hin und her, wahrscheinlich gehörte er einer Kuh oder einem Ochsen, auf dem Boden lag verstreut Stroh, ich stellte mir den Geruch dort drinnen vor. Die beiden Männer, die standen, hatten den dritten auf einen Baststuhl gefesselt, die Hände auf dem Rücken und jeden Fuß an ein Stuhlbein gebunden, natürlich an die vorderen. Es lief eine Kassette oder ein Radio, man hörte eine Melodie, die ich zum Teil erkannte, mein so verläßliches musikalisches Gedächtnis: Comendador hatte während seines Aufenthalts im Gefängnis von Palermo eine Vorliebe für die lokalen Schlager entwickelt, nachdem man ihn am Zoll wegen des Blutstropfens festgenommen hatte, der ihm im falschen oder im richtigen Augenblick aus einem seiner

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