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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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geschehen würde. Ich wollte Tupra beweisen, daß ich mich im Lauf seiner Sitzung bereits abgehärtet oder in meinem Innern schon das Gegenmittel gegen sein Gift produziert hatte: oder zumindest gewisse Abwehrkräfte.
    Die Musik brach nicht ab, als die drei Neuen hereinkamen, nicht einmal die Lautstärke verminderte sich, und so hörte ich wenig von dem, was Manoia zu dem Gefesselten sagte, und verstand noch weniger, sein sizilianischer Akzent kam mir übertrieben vor, vielleicht war sein Dialekt auch mit italienischen Elementen durchsetzt. Aber er redete voll Ungestüm auf ihn ein, voll Empörung, voll Verachtung, nun mit erhobener, schriller Stimme, und dabei gestikulierte er wild und verpaßte ihm nebenbei die eine oder andere Ohrfeige, als wären sie bloß Teil der Gestik, Unterstreichungen seiner Beschimpfungen, fast unfreiwillige oder von ihm unbemerkte Schläge, das kann nur passieren, wenn der Geohrfeigte nichts mehr wert ist und man ihn verdinglicht hat. Der andere antwortete, was er konnte, er zweifellos in reinem Dialekt, denn ich verstand kein Wort, es waren abgehackte Sätze, abgewürgt durch den unaufhörlichen, rasanten Wortschwall Manoias, ich wollte mir den Gefangenen kaum ansehen, je weniger ich ihn individualisierte, desto weniger würde es mir ausmachen, was ihm am Ende widerfuhr, etwas Furchtbares würde ihm passieren, das war sicher, die Situation verlangte es, und außerdem befand sich die Szene auf jener mit Bedacht zusammengestellten, aus peinlichen oder unverhüllt grausamen Szenen montierten DVD , ich sah ihn mir doch näher an, aus Gewohnheit, er war ein fülliger, spitzmündiger Mann mit einem großen Kopf, sehr kurzem, strohfarbenem krausem Haar, hervorspringenden Augen, der gegerbten Haut eines kleinen Gutsbesitzers, der noch zu Fuß über die Felder geht, gut gekleidet in einem dörflichen Stil, nicht älter als vierzig. Endlich unterbrach Manoia seinen Wasserfall – aber nicht den Zorn – oder machte eine kurze Pause, und danach verstand ich ein paar seiner Worte: › Tappategli la bocca ‹ – ›bindet ihm den Mund zu‹ –, befahl er seinen Gefolgsleuten, obwohl es eher klang wie › Dabbadegli la bogga ‹, wieder die stimmhaften Konsonanten, wo sie stimmlos sein mußten, vielleicht verstand ich ihn auch im nachhinein, der Bilder wegen, als ich sah, wie der Mann mit der großen Pistole und der mit der Flinte dem Gefangenen zwei Tücher in den Mund stopften, eines nach dem anderen, fast mit Druck, wie es eben ging, und einen langen Streifen Klebeband darüberklebten, von Ohr zu Ohr, ohne ihn frei husten zu lassen, wie er es brauchte, sein Gesicht wurde rot und erhitzte sich, die Augen sahen für einige Sekunden aus, als wollten sie aus den Höhlen springen, die Wangen dick geschwollen, die Tücher waren rot und weiß kariert, vielleicht Servietten aus einer Trattoria, über dem Klebeband und darunter lugten die Enden hervor, was mochte er Ungeheures oder Schwerwiegendes getan haben, denunziert wie Del Real, verraten, Feigheit gezeigt, gescheitert, geflohen, eingeschlafen sein, er wirkte nicht wie ein bloßer Feind, möglich war es schon, vielleicht war jemand durch seine Schuld gestorben, ein Agent des Sismi, der noch nicht an der Reihe war, wenn Manoia überhaupt vom Sismi war. Dieser holte jetzt irgendeinen Gegenstand aus der Jackettasche, ich konnte ihn nicht sehen, er war kurz, ein kleines Messer, ein kleiner Löffel, eine spitze Feile aus Metall, ein Kugelschreiber. › Adesso vedrai ‹, sagte er zu ihm, ›Jetzt paß auf‹, das war deutlich zu hören trotz des Liedes, das weiterlief. Der Kopf des sitzenden Mannes reichte ihm bis zur Brust, bis zu den Armen. Er trat näher zu ihm, er brauchte nur zwei Schritte, und was immer auch er in der Hand hielt, er vollführte damit zwei rasche Bewegungen über seinem Gesicht, die Geste war die eines Zahnarztes der alten Schule, der sich anschickt, mit Gewalt einen Backenzahn auszureißen, eins und zwei, und ob er sie ihm ausriß, restlos, nicht die Backenzähne, er ließ sie herausspringen wie jemand, der mit dem Dessertmesser die Kerne aus zwei Pfirsichhälften herausholt, oder Kerne einer Wassermelone oder Nüsse aus ihrer endlich mit Mühe aufgebrochenen Schale, und ich mußte sie schließen entgegen meiner Absicht, was bleibt einem anderes übrig, ich versuchte, sie mir nicht mit der Hand zuzuhalten, damit Tupra daran zweifeln konnte, ob ich sie offen hielt, während Zapulla sang und ich nur ab und zu ein einzelnes Wort

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