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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Nasenlöcher gelaufen war und den Argwohn eines Karabinbiere mit kritischem oder deduktivem Auge geweckt hatte, so daß er ihm buchstäblich die Hunde auf den Leib hetzte, die Kokain riechen. Er hatte mir als Geschenk zwei CDs geschickt, eine von Modugno und die andere von einem gewissen Zappulla, und ich war fast sicher, daß es die Stimme des letzteren war, die laut in dem Kuhstall erklang, ein Lied, das auf meiner CD war, ich erinnerte mich an einige Titel, es war I puvireddi oder Suspirannu oder Luntanu oder Bidduzza oder Moro pe ttia , hübsch, angenehm, etwas kitschig in ihrer Melancholie, ich hatte sie in einer melancholischen und etwas kitschigen Phase beharrlich und gerne gehört, dieser Schuppen mußte in Sizilien stehen, darauf brachte mich auch die lupara , die einer der Bewacher an einem Lederriemen über der Schulter trug, diese Flinte mit abgesägten Läufen, mit der man dort gejagt hat und vielleicht noch immer jagt und mit der man Rechnungen beglichen hat und vielleicht noch immer begleicht, der andere hatte eine große Pistole in einem Halfter unter der Achsel, das Jackett anmutig über die Schultern geworfen, die Ärmel leer und die des Hemdes hochgekrempelt, am Handgelenk eine große, quadratische Uhr, eine Hand auf die Rückenlehne des Gefangenen gestützt, der war dicker und älter als sie, die jung waren und schlank, und alle drei bewegten die Lippen im Text des Gesangs, sie wußten ihn alle auswendig und sangen ihn gleichzeitig mit Zappulla, und obwohl das jeder sozusagen für sich tat, entrückt, isoliert, wie nach innen und nicht im Chor, war es eine merkwürdige Übereinstimmung, die ihnen erlaubte, vorübergehend etwas zu teilen, als wären sie nicht zwei Wächter und ihr Gefangener oder zwei Henker und ihr Opfer und als erwartete letzteres nichts Schlimmes, und auch die Schweife der Tiere im Hintergrund schienen sich im gleichen Takt zu bewegen, sämtliche Lebewesen an diesem verborgenen Ort in seltsamer, unstimmiger Harmonie, der Mann mit der lupara wiegte sich sogar leicht, ohne die Füße vom Boden zu heben, nur die Beine und der Oberkörper mit der Flinte zuckten im wohlklingenden Rhythmus von I puvireddi oder von Moro pe ttia ‹ ›Die Ärmsten‹ oder ›Ich verzehre mich nach dir‹ im sizilianischen Dialekt.
    Das dauerte wenige Sekunden, denn sogleich öffnete sich eine Tür – man sah flüchtig Gras, ein liebliches Gefilde –, und herein kamen weitere drei Subjekte, die sie hinter sich schlossen, und derjenige, der an der Spitze ging und das Sagen hatte, war Arturo Manoia. Da war er mit seiner Vergewaltiger- oder Beamtenbrille, die er sich ständig mit dem Daumen hochschob, obwohl sie ihm nicht herunterrutschte, ich sah, daß er es auch in dieser Situation so machte, im Stehen und rege, beschäftigt, mit seinem Blick, der aufgrund der großen Gläser und der übertriebenen Unrast seiner glanzlosen, milchkaffeefarbenen Augen fast unsichtbar war, als hätte er Schwierigkeiten, sie länger als einige Sekunden auf einen Punkt gerichtet zu halten, oder als hätte er etwas dagegen, daß man sie ausforschte. Ich erkannte ihn sofort, ich hatte ihn gerade während eines ganzen unvergeßlichen Abends gesehen, und er wirkte nicht einmal jünger, bestimmt war es eine nicht lange zurückliegende Aufnahme, oder er war ein altersloser Mann, der sich im Unterschied zu seiner Frau nicht veränderte, da war er mit seinem beherrschenden Kinn, mit seiner zu langen Kinnspitze, die ihn nicht zum Prognathiker machte, aber vielleicht doch zu einem bazzone . Mit seinem allgemeinen Hang zur Vergeltung. Schon als ich ihn kennenlernte, hatte ich gedacht, daß er sie bei der geringsten Provokation oder beim geringsten Anlaß üben würde und selbst ohne sie, daß er bestimmt ein reizbarer Mann war, wenn auch mit dem Ruf, gelassen zu sein, denn den Zorn würde er fast nie nach außen tragen. Aber ich hatte auch gedacht, daß die wenigen Male, bei denen der Zorn ausbrach, furchterregend sein mußten, ›besser, man wohnte ihnen nicht bei‹. Und jetzt, da ich mich schon von ihm verabschiedet und ihn nicht mehr persönlich vor mir hatte, kam ich am Ende der Nacht unerwartet in die Lage, ein solches Mal zu erleben, einen Zornesausbruch von ihm auf dem Bildschirm. Ich empfand es wie einen Fluch, und ich wußte es, kaum daß ich ihn auf dem Video in Anzug und Krawatte in der Tür des Schuppens erscheinen sah. Ich wappnete mich, ich nahm mir vor, nicht den Blick zu wenden oder ihn zu verdecken, egal, was

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