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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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wir erst gar nicht reden.
    »Eines würde mich interessieren: Wieso gab es dort eine Kamera, das sah doch aus wie ein abgelegener Kuhstall mitten im Nirgendwo, ist das nicht etwas seltsam?« Ich versuchte, den sachlichen Ton beizubehalten, er half mir ganz gut bei meinem Bemühen, mich zu beherrschen.
    Tupra sah mich wieder von oben an, jetzt eher amüsiert als gereizt.
    »Tja, es wäre etwas seltsam gewesen, Jack, wenn der Typ mit der lupara , sieh nur, wie ich von dir lerne« – es klang, als hätte er auf englisch › looparrah ‹ gesagt, er hatte kein sehr gutes Gehör – »sie nicht vorher angebracht und versteckt hätte. Wenn sie ihn erwischt hätten, wäre es ihm wohl ergangen wie dem auf dem Stuhl.«
    Was ich ihn dann fragte, war mir in Wirklichkeit egal; ich tat es nur, um meine Position zu festigen, bis ich gehen könnte, im immergleichen Ton.
    »Das ist doch nicht etwa ein Engländer, so, wie der aussieht? Das ist doch nicht etwa ein Agent von uns.« Ich war im Begriff, ›von euch‹ zu sagen, aber ich korrigierte mich oder schaltete rechtzeitig um, vielleicht aus Ironie, vielleicht, weil es mir vage von Vorteil schien.
    Die Antwort war offensichtlich, ›Wozu gibt es Geld?‹, oder ›Wozu gibt es Kontakte?‹ oder ›wozu Erpressung‹, aber Tupra wollte sich zum Schluß noch interessant machen. Im Grunde genommen hatte er das den ganzen Abend lang ununterbrochen getan.
    »Das ist ein bißchen viel Neugier, Jack.« Er wandte sich von mir ab, ging wieder zu der Schublade, der er die DVD entnommen hatte, verwahrte sie sorgsam und verschloß die Schublade mit einem Schlüssel, den Ort seiner Schätze. Und dann fragte er mich wieder danach, von der anderen Seite des Tisches her, im Halbdunkel. Er sagte mit seinem großen Mund, mit seinem weichen und fleischigen, zu groß geratenen und konsistenzlosen Mund, während er Rauch ausstieß: »Du hast inzwischen sicher ausgiebig nachgedacht, beantworte mir jetzt, was ich dich im Wagen gefragt habe. Du hast jetzt Dinge gesehen, die du vorher nicht gesehen hast und, wie ich hoffe, auch nicht wieder sehen wirst. Sag mir jetzt: Warum kann man nicht einfach herumprügeln und töten? Deiner Meinung nach. Du hast gesehen, wie sehr man das überall tut und mit welcher Sorglosigkeit bisweilen. Erklär mir also, warum man nicht kann.«

    Ihm gegenüber würde ich mit keiner der klassischen Antworten bestehen, ich hatte es vom ersten Augenblick an gewußt. Ich hatte nicht geglaubt, daß Reresby darauf zurückkommen würde, ich weiß nicht, warum, er verlor nie den Faden oder vergaß, was anlag, oder ließ seine Beute los, wenn er nicht wollte, genau wie ich, genau wie Wheeler. Ich sah mich dümmlich um, als könnte ich die Antwort an den Wänden finden, der Raum im Halbdunkel, die Lichter matt. Mein Blick fiel für einige Augenblicke auf das einzige Bild, vielleicht, um von den anderen auszuruhen, von denen auf dem verfluchten Fernsehgerät und von dem lebendigen Tupras: das Porträt eines britischen Offiziers mit Krawatte und gebogenem Schnurrbart und mit seinem Military Cross, dem Orden mit diesem Namen, mit spitz in die Stirn laufendem Haaransatz, die Brauen dicht und der Blick melancholisch, wie meiner es sicher war, und gerade dieser schmerzvolle Blick – in dem ich meine Niedergeschlagenheit gespiegelt sah – würde mich trotz meines verstellten Tons vor Tupra verraten. Ich entzifferte mit großer Mühe die Signatur der Skizze, ›E Kennington. 17 ‹, lautete sie, diesen Namen hatte ich aus dem Munde Wheelers gehört, als er mir von der Kampagne des careless talk von 1917 erzählte, mitten im Ersten Weltkrieg, den er und mein Vater als Kinder erlebt hatten, es schien unglaublich, daß sie noch nicht aus der Welt verschwunden waren, daß sie noch nicht halb in Sicherheit waren im unvollkommenen und ungewissen Vergessen, wie es der Offizier des Porträts wohl war, es sei denn, Tupra kannte seine Identität, in jenem Krieg hatte man vielleicht schlimmer getötet als in jedem anderen, ich meine, auf schlimmere Art und Weise, mit immer perfekterer Technik, aber auch Mann gegen Mann und mit Bajonett, und die an der Front Gefallenen waren unzählbar, oder niemand wagte, sie zu zählen. Ich versuchte ein minimales Ablenkungsmanöver, ich versuchte, Zeit zu gewinnen:
    »Wer ist dieser Offizier?« Und ich wies auf die Skizze.
    Was Reresby sagte, war widersprüchlich, als wollte er sich nur die Frage vom Hals schaffen:
    »Keine Ahnung. Mein Großvater. Mir gefällt sein

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