Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
ausgestreckten Zeigefinger zum Fenster gewiesen, einem dieser Finger, die noch in sauberem Zustand immer mit dem behaftet zu sein scheinen, was sie gewöhnlich berühren, sosehr ihre Besitzer sie auch waschen mögen: Ich habe sie bei Kohlenhändlern und Fleischern und Anstreichern und sogar bei Obsthändlern gesehen (bei Kohlenhändlern in meiner Kindheit); auf seinen lag der Staub der Bücher, der so leicht haften bleibt, deshalb benutzte ich Handschuhe, wenn ich in den Antiquariaten oder Gebrauchtbuchhandlungen stöberte, dagegen blieb die Kreide an mir kleben, wenn ich Unterricht hielt. »Es ist nichts Schreckliches an ihr, für sich allein vermag sie kein Grauen einzuflößen. Im Gegenteil. Sie wirkt sehr attraktiv. Sie ist sympathisch und liebenswürdig. Sie hat den Hund gestreichelt. Ich habe ihr diese Nelken abgekauft.« Er holte sie aus der Manteltasche, in die er sie nachlässig gesteckt hatte, als wären es Bleistifte oder ein Taschentuch. Es waren nur zwei, sie waren halb zerdrückt. »Aber dieses Mädchen vermag Grauen einzuflößen. Der Gedanke dieses Mädchens in Verbindung mit einem anderen Gedanken vermag Grauen einzuflößen. Glauben Sie nicht? Wir wissen noch nicht, welches der fehlende Gedanke, der geeignete Gedanke ist, der uns Grauen einflößt. Seine schaurige Ergänzung. Aber er existiert mit Sicherheit. Er wird existieren. Er muß nur zutage treten. Es kann auch sein, daß er niemals zutage tritt. Es könnte, wer weiß, vielleicht mein Hund sein.« Er wies mit seinem senkrechten Zeigefinger nach unten, der Terrier hatte sich zu seinen Füßen hingelegt, es regnete nicht an jenem Tag, es bestand nicht die Gefahr, daß er das Wohnzimmer schmutzig machte, er verdiente die Verbannung in die Küche nicht, im unteren Stockwerk (sein Zeigefinger mit unsichtbarem Staub bedeckt). »Das Mädchen und mein Hund«, wiederholte er und wies abermals zuerst zum Fenster (als wäre die Blumenverkäuferin ein Gespenst und preßte ihr Gesicht an die Glasscheibe, es war das Fenster des ersten Stocks, die pyramidenförmige Wohnung hatte drei, ich schlief im obersten und arbeitete in diesem Wohnzimmer) und dann auf den Hund, der Finger immer sehr gerade und steif. »Das Mädchen mit seiner langen kastanienbraunen Mähne und seinen hohen Stiefeln und seinen langen, festen Beinen und mein Hund ohne seine linke Pfote.« Ich erinnere mich, daß er in diesem Augenblick liebevoll oder eher tastend seinen Stumpf berührte, so als könnte er ihm noch weh tun, das Tier döste ein wenig vor sich hin. »Daß der Hund mich begleitet, ist normal. Es ist notwendig. Es ist seltsam, wenn man will. Ich meine, wir beide zusammen. Aber es liegt kein Grauen darin. Wenn der Hund zu ihr gehörte, wäre das weniger eindeutig. Es wäre vielleicht grauenvoll. Der Hund ist ohne Pfote. Nur ich erinnere mich an ihn, als er noch vier hatte. Meine persönliche Erinnerung zählt nicht. Sie ist nichts im Vergleich zu den Augen der anderen. Zu ihren Augen. Zu den Ihren. Zu denen der anderen Hunde. Jetzt ist es, als hätte meinem Hund immer eine Pfote gefehlt. Wäre er ihr Begleiter, dann hätte er sie bestimmt nicht bei einer dummen Schlägerei nach einem Fußballspiel verloren.« Marriott hatte mir die Geschichte schon erzählt, ich hatte ihn gefragt: Ein paar betrunkene Fans des Oxford United, der Bahnhof von Didcot spät in der Nacht, der hinkende Mann von mehreren geschlagen und festgehalten, der noch nicht hinkende Hund auf das Gleis gelegt, damit ihn ein Zug überfuhr, der nicht anhielt. Sie hatten ihn losgelassen, sie waren im letzten Augenblick zurückgeschreckt, er hatte sich fortgerollt, er hatte Glück gehabt alles in allem. (»Sie können sich nicht vorstellen, wie er geblutet hat.«) »Ein Unfall. Berufsrisiko eines Hundes, der einem hinkenden Mann gehört. Aber mit ihr hätte er sie vielleicht aus einem anderen Grund verloren. Der Hund ist ohne Pfote . Aus einem wichtigeren Grund. Nicht aufgrund eines Unfalls. Man kann sich dieses Mädchen schwer bei einer Prügelei vorstellen. Vielleicht hätte er sie durch ihre Schuld verloren.« Der englische Ausdruck lautete » because of her «, eine Verwechslung in bezug auf das Possessivpronomen war nicht möglich. »Damit dieser Hund seine Pfote als Hund dieses Mädchens verliert, hätte dieses Mädchen sie ihm vielleicht amputieren müssen. Wie könnte ein Hund, der von einer so attraktiven und sympathischen Blumenverkäuferin beschützt, umhegt und geliebt wird, sonst die Pfote verlieren?
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