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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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hart aufzusetzen und ohne Widerhall.
    Ich gelangte vor meine Haustür, steckte den Schlüssel hinein, öffnete, erst dann klappte ich den Regenschirm zu und schüttelte ihn über der Straße aus, um drinnen so wenig Nässe wie möglich zu verbreiten, und als ich oben war, trug ich ihn sogleich in die Küche, auch den Regenmantel ließ ich dort, damit er trocknete, und dann trat ich ungeduldig ans Fenster und spähte auf den Platz, ich sah auf ihm weder die junge Frau noch ihren Pointer, obwohl ich ihr schwereloses Geräusch bis zum Schluß gehört hatte, es hatte mich bis zur Tür unten begleitet, oder das hatte ich geglaubt. Dann hob ich den Blick und suchte auf meiner Höhe den tanzenden Nachbarn, der sich oft beruhigend auf mich auswirkte. Da war er, ja, es lag nahe, daß er bei einem so widerwärtigen Wetter nicht ausgegangen war, und außerdem hatte er Besuch, die Schwarze oder Mulattin, mit der er bisweilen tanzte: Aufgrund der Bewegungen, der Körperhaltung und des Rhythmus hatte ich keinen Zweifel, daß sie in einen pseudogälischen Tanz vertieft waren, großes Tempo in den Füßen, die sich nicht im Raum bewegen (diese Füße beschränken sich auf einen Punkt, den sie bearbeiten, sie stampfen auf und nieder auf einer Stelle von der Größe eines Ziegelsteins oder einer Fliese, wenn wir nicht übertreiben wollen), die Arme dagegen hängen herunter, dicht am Körper, reglos, in freiwilliger Steifheit, ich dachte, bestimmt hörten sie die Musik irgendeines wahnwitzigen Auftritts dieses Idols der Inseln, Michael Flatley, der wie ein Besessener mit den Füßen stampft, seine alten Videos wurden bemerkenswert häufig ausgestrahlt, ich weiß nicht, ob er sich schon zurückgezogen hat oder sich sehr rar macht, um auf diese Weise sein rabiates Gehüpfe auf den Bühnen außergewöhnlicher zu machen. Wie froh er immer wirkte, mein Nachbar, egal was er tanzte, ob allein oder in Gesellschaft, manchmal fühlte ich mich versucht, ihn nachzuahmen, es ist etwas, das wir alle tun können, zu Hause tanzen, wenn wir glauben, daß niemand uns sieht. Aber man kann nie sicher sein, daß uns niemand sieht oder hört, wir merken nicht immer, daß jemand uns beobachtet oder unseren Schritten folgt.
    Der arme Terrier des Bibliomanen Marriott konnte nicht mehr als vierzehn Zehen haben, dachte ich, da ihm eine Pfote fehlte. Vielleicht hatte ich mich an ihn erinnert, weil sein Bild für immer mit dem einer jungen Frau verbunden war, die ebenfalls hohe Stiefel zu tragen pflegte, eine Blumen verkaufende Zigeunerin, die an den Sonntagen genau gegenüber meiner Wohnung in Oxford Stellung bezog, jenseits der langen Straße, die dort unter dem Namen St Giles’ bekannt ist. Sie hieß Jane, sie war verheiratet trotz ihres sehr jugendlichen Alters, sie trug Jeans und Lederjacke an den meisten Tagen, ich wechselte dann und wann ein paar Worte mit ihr, und jener Alan Marriott war vor ihrem Stand stehengeblieben, um ihr ein paar Blumen abzukaufen, bevor er bei mir klingelte an dem Vormittag oder Nachmittag, an dem er mich besuchte, es war einer jener ›aus der Unendlichkeit verbannten‹ Sonntage (zitierte ich für mich). Er und ich hatten schließlich über den walisischen Schriftsteller Arthur Machen gesprochen (einer seiner Lieblingsautoren) und über die Schauer- oder Horrorliteratur, die dieser zum Entzücken von Borges und einiger weniger mehr kultiviert hatte, obwohl ich mich erinnern kann, daß er nicht wußte, wer Borges war. Und er hatte mir unvermittelt den Horror durch eine Hypothese veranschaulicht, die seinen dreibeinigen Hund mit dem wachen Gesicht und die Blumenverkäuferin mit den hohen Stiefeln in Verbindung brachte. »Der Horror hängt weitgehend von der Gedankenverbindung ab«, hatte er gesagt. »Von der Gedankenverknüpfung. Von der Fähigkeit, sie zusammenzubringen.« Er drückte sich in kurzen Sätzen aus und gebrauchte kaum Konjunktionen, mit winzigen, aber sehr tiefen, deutlichen Pausen, als hielte er den Atem an, solange sie dauerten. Als würde auch seine Sprechweise ein wenig hinken. »Es kann sein, daß Sie zwei Gedanken niemals in einer Weise verbinden, daß sie Ihnen ihr Grauen offenbaren, das Grauen eines jeden der beiden, und es daher in Ihrem ganzen Leben nicht kennenlernen. Es kann aber auch sein, daß Sie in ständigem Grauen leben, wenn Sie das Pech haben, fortwährend die richtigen Gedanken zu verbinden. Zum Beispiel das Mädchen, das gegenüber Ihrem Haus Blumen verkauft«, hatte er gesagt und mit dem lang

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