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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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wäre schon mehr als genug gewesen. Sie haben prinzipiell nichts miteinander zu tun, niemand hätte sie in Beziehung gebracht, abwegig. Es gibt keine Ähnlichkeit und natürlich auch keine Verwandtschaft. Der Mann hatte weißes, wie aufgerauhtes Haar, das des jungen Mädchens ist eine betörende Mähne von kräftigem Kastanienbraun; ihm fiel das Fleisch von den Knochen, sein Gesicht jeden Tag sichtlich eingefallener, das ihre so üppig und fest, daß neben ihr die Eltern flach wirken (und man selbst auch, nimmt man an, aber man betrachtet sich nicht), so als hätte nur sie Volumen im Raum oder als besäße nur sie Relief; seine Augen waren klein und unaufrichtig, gierig und schädlich trotz des Lächelns, das seine auseinanderstehenden, wie ungefeilten oder unpolierten Zähne oft entblößte (oder mit verschwundenem Belag, sie sahen aus wie winzige schmutzige Sägen), in der Hoffnung, dem Ganzen einen freundlichen Anstrich zu geben (er täuschte viele, eine Zeitlang sogar mich selbst, oder es war eher so, daß ich den Blick abwandte von dem, was ich sah, das macht die Welt ständig, und man kann sich nicht immer von der Welt abspalten), und ihre Augen sind groß und flüchtig und ernst und scheinen nichts zu begehren, ihre Lippen gewähren niemandem ein Lächeln, der es nicht verdient von ihrem geizigen Standpunkt aus, und es macht ihr nichts aus, mürrisch zu wirken (es interessiert sie noch nicht, irgend jemandem zu schmeicheln), und ihre kurz erblickten Zähne sind eine strahlende Wohltat. Nein, sie haben nichts miteinander zu tun, der betrügerische Zeitschriftenbesitzer und -herausgeber, der überhebliche, niemals mitfühlende ältere Mann, so unsicher seiner Erfolge und so wissend um seine finanziellen und intellektuellen Diebereien, daß er die von ihm Betrogenen erledigen mußte, wenn er konnte; nein, nichts verbindet sie, ihn und dieses Mädchen, von dem man sagen würde, daß sich der Vorhang noch nicht für sie gehoben hat, daß sie noch ganz Potentialität und Rätsel ist, eine vorbereitete Leinwand, auf die nur ein paar Pinselstriche zur Probe, ein paar Farbproben aufgetragen wurden. Und doch. Nach einer Weile, vielleicht beim Nachtisch, nach der Zeit unserer Beharrlichkeit, sieht man deutlich und mit unbeteiligter Bitterkeit das gleiche Aufblitzen, den gleichen Ausdruck oder Blick wie bei dem Mann, dem sie nicht gleicht und den sie nicht kennt (jede Mimesis ist also ausgeschlossen). Es ist keine Überblendung, es kann keine Überblendung sein bei so unterschiedlichen, so gegensätzlichen Gesichtern, das wäre eine visuelle Verirrung, ein Vertun des Auges. Nein, es ist eine Gedankenverbindung, ein Wiedererkennen, eine erfaßte Affinität (ein grauenvolles Paar). Es ist die gleiche Verdruß verkündende Miene oder der gleiche Ausdruck von Anspruch, die sicher durch verschiedene Ursachen bedingt sind oder durch Lebenswege, die so auseinandergehen, daß der seine sich bereits seinem Ende zuneigt und der ihre gerade erst beginnt. Oder vielleicht gibt es in beiden Fällen keine Ursachen, und die Lebenswege fallen kaum ins Gewicht, Ausdruck und Miene kommen nicht von Mißerfolg oder Glück, nicht die Ereignisse haben sie mit sich gebracht. Sie waren längst befestigt bei dem Unternehmer, ständige Bewohner seiner geröteten, von geplatzten Äderchen durchzogenen Alkoholikerhaut, während sie bei dem jungen Mädchen nur eine momentane Versuchung sind, nebelhaft, wenn man so will, etwas vielleicht Umkehrbares und vorläufig Bedeutungsloses. Und doch weiß man schon, nachdem man diese Verbindung bemerkt hat. Man weiß, wie sie in einer Hinsicht ist und daß an diesem entscheidenden Punkt nichts zu ändern ist: Schwer wird es haben, wer ihr entgegentritt, aber nicht besser, wer ihr entgegenkommt (»Es gibt Leute, die schlicht unmöglich sind, und das einzig Kluge ist, ihnen aus dem Weg zu gehen, sie auf Distanz zu halten und nicht für sie zu existieren«). Diese Miene, dieser Ausdruck zeigen etwas an, das auf Anhieb bemerkt und zuvor erwähnt wurde, aber ohne daß ein Zusammenhang mit dem alten Dieb und seinem grenzenlosen Hochmut hergestellt worden wäre, ohne daß ich gemerkt hätte, daß das junge Mädchen diesen Wesenszug mit ihm teilte oder ihn wiederholt (sie übernimmt ihn von ihm, ohne ihn zu kennen, genau gleich). Beide fühlen, sind vielleicht überzeugt davon, daß die Welt ihnen etwas schuldig ist; alles Gute, was ihnen zuteil wird, ist ihnen nur geschuldet, das mindeste; Zufriedenheit und Dankbarkeit

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