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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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dieser gezwungen sein wird, Rechenschaft abzulegen, wenn die Sache seines Krieges nicht gut ist: ›Wenn alle die Beine und Arme und Köpfe, die in einer Schlacht abgehauen sind‹, sagt er, ›sich am Jüngsten Tag zusammenfügen und schreien alle: Wir starben da und da.‹ Du siehst, man glaubte, daß nicht nur die Toten sprechen und sogar protestieren würden, sondern sogar ihre verstreuten, einzelnen Köpfe und Glieder, nachdem sie sich versammelt hätten, um sich mit Anstand dem Jüngsten Gericht zu stellen.«
    › We died at such a place .‹ Das war es, was Wheeler jetzt in seiner Sprache zitiert hatte, und so ergänzte ich das andere Zitat für mich, von Cervantes und in meiner Sprache, das er mich nicht hatte beenden lassen und das ebenfalls diesen Glauben bezeugte: ›Lebt wohl, ihr Scherze! Lebt wohl, ihr Späße! Lebt wohl, ihr heiteren Freunde, denn ich sterbe und hoffe dabei, euch bald zufrieden im Jenseits wiederzusehen!‹ Das erwartete Cervantes, dachte ich, keine Klagen oder Anklagen, keine Vorwürfe oder Abrechnungen, keine Entschädigung für die irdischen Mißgeschicke und Ungerechtigkeiten, er mußte nicht wenige erleiden. Nicht einmal letzte Gerechtigkeit, die man als Nichtgläubiger am meisten vermißt. Sondern die Fortsetzung der Scherze und Späße, der Fröhlichkeit der Freunde, die auch im anderen Leben froh sind. Das ist das einzige, von dem er sich verabschiedet, das einzige, was er gern in der Ewigkeit behalten möchte, wohin immer er gehen mag. Ich hatte meinen Vater mehrmals von diesen schriftlichen Abschiedsworten sprechen hören, die nicht so berühmt sind, wie sie sein sollten, sie stehen in dem Buch, das fast niemand liest und das doch vielleicht allen anderen, selbst dem Quijote , überlegen ist. Ich hätte Wheeler gerne an das ganze Zitat erinnert, aber ich wagte nicht, darauf zu bestehen, ihn damit von seinem Weg abzubringen. So beschränkte ich mich darauf, ihn zu begleiten, und sagte:
    »In der Idee des Jüngsten Gerichts selbst war enthalten, daß man nach dem Tod genau das am allermeisten tun würde, der allgemeinen Erwartung zufolge: die vollständigen Geschichten aller erzählen, also sprechen, berichten, darlegen, argumentieren, widerlegen, appellieren und am Schluß das Urteil vernehmen. Ein monumentales Gericht über alle, die einst in der Welt waren, an einem einzigen Tag, über alle zugleich, die ägyptischen Pharaonen vermischt mit unseren Managern und unseren Taxifahrern, die römischen Kaiser mit unseren Bettlern und unseren Gangstern und unseren Astronauten und unseren Stierkämpfern, ich weiß nicht. Stellen Sie sich das wirre Geschrei vor, Peter, die gesamte Geschichte der Welt mit all ihren Einzelfällen in einen Affenstall verwandelt. Und die fernsten und ältesten Toten, die es leid sind, die unzählbaren Stunden bis zu ihrem Urteil zu zählen, und sich sicher über die im wahrsten Sinne des Wortes endlose Wartezeit empören. Sie tatsächlich stumm und einsam Millionen Jahrhunderte lang, in Erwartung des letzten Toten und daß kein Lebender mehr übrig sei. In Wirklichkeit verurteilte dieser Glauben uns alle zu einem sehr langen Schweigen. Das waren › the whips and scorns of time ‹, das war › the law’s delay ‹«, und jetzt war ich es, der seinen Dichter zitierte, ›der Zeiten Spott und Geißel‹, ›des Rechtes Aufschub‹, sagte ich in seiner Sprache. »Und ihm zufolge, diesem Glauben zufolge, wäre der allererste Tote aller Zeiten heute noch immer dabei, seine Stunden stummer Einsamkeit zu zählen, die vergangenen und die kommenden; wenn ich er wäre, dann würde ich den egoistischen Wunsch haben, daß die Welt ein für allemal zu Ende geht und es endlich nichts mehr gibt.«
    Wheeler lächelte. Etwas an meinen Worten hatte ihn amüsiert, und vielleicht mehr als nur etwas.
    »Das ist es, genau«, antwortete er. »Ein Schweigen sine die : das im besten Fall und wenn der Glauben fest war. Doch durch den Umstand erschwert, daß man damals, während unseres Zweiten Krieges, kaum noch an diese letzte Rede oder Rechtfertigung oder Berichterstattung jedes einzelnen am Ende der Zeiten glaubte, und sich nur mühsam mit dem Gedanken anfreunden konnte, daß die Köpfe und Glieder, die Nacht für Nacht von den auf unsere Städte abgeworfenen Bomben abgerissen wurden, sich einmal zusammenfügen und später schreien könnten: ›Wir starben da und da‹; und es war wenig trostreich, daß die Sache gerecht war, und noch weniger bedeutete es, ob sie gut war

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